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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper
Autoren: Andrea Camilleri
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die Kaserne und unterhalten uns ein bißchen, du und ich, unter vier Augen. Und hinterher werden wir sehen, wer gescheiter ist, du oder ich.«
      Ohne ein Wort zu verlieren, setzte sich Decu aufs Bett und beugte sich nach vorne, um nach seinen Schuhen zu greifen. Er war bereit, alles so zu machen, wie sein Cousin es ihm nahegelegt hatte. Gegen ihn lag ja nicht der geringste Beweis vor. Puglisi konnte sich seinen Dickschädel anderswo einrennen. Aber während er mit einer Hand nach seinen Schuhen tastete, stießen seine Finger auf die kalte Mündung des Revolvers, den er am Tag zuvor dort versteckt und prompt vergessen hatte. Ohne irgendeine Überlegung, rein instinktiv, packte er das Schießeisen und schoß.
      Er traf Puglisi mitten in die Brust. Der fiel gegen die Wand, die Waffe glitt ihm aus der Hand, und dann rutschte er mit den Schultern die Wand herunter.
    Am Boden zuckte er noch einmal, als wollte er sich bequemer hinlegen.
      »Du heilige Mutter Gottes«, flüsterte Catalanotti und wußte aus langjähriger Erfahrung, daß sein Freund und Vorgesetzter mit einem Schlag wie eine Kerzenflamme ausgepustet worden war.
      »Ich habe das nicht mit Absicht gemacht«, jammerte Decu mit ersterbender Stimme. »Ich wollte ihn nicht umbringen. Es ist mir rausgerutscht.«
      Catalanotti sah ihn an. Was er sah, war ein ekliges, dreckiges Ding, mit wenigen Haaren, eine Art Wurm in Menschengestalt. Der sich vor Angst in die Unterhosen pißte, die tropften.
    »Rausgerutscht ist es dir?«
    »Jawohl, ich schwöre es.«
      »Auch mir rutscht es raus«, sagte Catalanotti und schoß ihm ins Gesicht. Dann kauerte er sich neben Puglisi nieder, nahm seinen Kopf in die Hände, küßte ihn auf die Stirn und begann zu weinen.

    In der Gegend um Serradifalco begann es hell zu werden. Sie durchquerten ein Tal voll betäubenden Dufts nach Orangenblüten. Der Bauernbursche Laurentano hielt an.
    »Ich muß pissen.«
    »Ich auch«, meinte Traquandi. Nach sechs Stunden waren das die ersten Worte, die sie miteinander wechselten. Sie stiegen vom Pferd. Der Römer ging an einen Baum, knöpfte den Hosenlatz auf und begann, Römer schlug mit dem Kopf gegen den Baumstamm, bevor er platt auf dem Boden aufschlug. Laurentano zog ihm auftragsgemäß den Geldbeutel aus der Rocktasche und steckte sich das Geld, das darin war, und das war viel, in die Tasche. Dann machte er aus dem Geldbeutel, dem Koffer des Fremden und allem, was darin war, einen Haufen und zündete ihn an. Geduldig wartete er ab, bis nur noch Asche übrig war. Dann band er die Zügel des Pferds, das der Römer geritten hatte, an seinen Sattel und schlug wieder die Straße nach Montelusa ein. Besser gesagt, er ritt zum Polizeipräsidium von Montelusa, wo er jeden Tag seine Pflicht tat und dem Doktor Meli zu Diensten stand.

    Am Vormittag hatte Don Memè Mut gefaßt und war ins Vorzimmer des Präfekten gegangen.
      »Melden Sie Seiner Exzellenz, daß ich hier bin«, sagte er zu Orlando.
      Der Amtsdiener blickte ihn einen Moment lang an, dann senkte er den Kopf und sagte kaum vernehmlich:
    »Seine Exzellenz ist sehr beschäftigt.«
    »Auch für mich?«
      »Für alle, Don Memè. Er hat es mir ausdrücklich gesagt: ich kann keinen empfangen, nicht einmal den Herrn im Himmel.«
    »Und wann darf ich wiederkommen?«
    Umstehenden wie gewöhnlich eine heitere Miene zeigte. Da ließ ihn die Stimme des Amtsdieners innehalten.
      »Ach, Don Memè, beinahe hätte ich es vergessen. Der Herr Doktor Vasconcellos möchte Sie sprechen. Kommen Sie mit mir.«
    Sie gingen durch einen langen Korridor, Orlando voraus
    und Don Memè hinterher. Vasconcellos war der Kabinettschef des Präfekten. Ein Zwerg, der »Säckchen« genannt wurde, sowohl wegen seiner geringen Statur als auch wegen seiner Angewohnheit, Kleidung zu tragen, in der er jede menschliche Form verlor. Wer ihn näher kannte, nannte ihn »Vipernsäckchen«. Als sie an seiner Tür angelangt waren, machte Orlando Don Memè ein Zeichen zu warten, klopfte und trat ein. Kurz darauf kam er wieder heraus.
    »Er erwartet Sie.«
      Der Kabinettschef, der sich bis vor zwei Tagen noch bis zum Boden verneigt hätte, um ihm seine Ehrerbietung zu bezeugen, antwortete jetzt weder auf seinen Gruß, noch erhob er sich von seinem Stuhl, der auf einem Podest stand, um ihn zu begrüßen. Wenn es überhaupt eines Beweises bedurfte, daß der Wind jetzt aus einer anderen Richtung wehte, dachte Don Memè, dann war er das.
    »Seine Exzellenz«, sagte
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