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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper
Autoren: Andrea Camilleri
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sich genommen hatte, ohne ihn zu lesen? Der Präfekt hielt es nicht länger aus.
    »Hast du meinen Brief gelesen, Giagia?«
    »Aber sicher doch. Danke, Dindino.«
      Giagia war nun mal so, da war nichts zu machen. Ein Jahr nach ihrer Hochzeit hatte er ihr ein Schmuckstück geschenkt, das ihn zwei Anwesen seines armen Großvaters gekostet hatte. Und der einzige Kommentar von ihr lautete: »Ganz hübsch.«
    Die Straße war holprig und voller Löcher, und sie wurden im Wageninnern hin und her geworfen. Nach
      Bevor sie antwortete, faßte sie sich an die Haare, den Busen, die linke Hüfte, die rechte Hüfte, die Augen und die Lippen.
      »Ja, Dindino, das ist mein Ernst. An jenem Abend bin ich nicht ins Theater gegangen. Ich bin mit meiner Großmutter zu Hause geblieben, weil ich meine Tage hatte, Dindino, und mich unwohl fühlte. Da bin ich mir ganz sicher, Dindino. Ich habe in meinem Tagebuch nachgelesen. Ich war zu Hause.«
      »Aber wir zwei haben uns doch das erste Mal im Teatro della Pergola gesehen, oder nicht?«
      »Gewiß, Dindino, im Teatro della Pergola. Aber sechs Tage später. Und es wurde nicht dieser Bierbrauer gegeben, sondern eine Oper von einem gewissen Boccherini, ich glaube, sie hieß La Giovannina oder so etwas in der Richtung.«
    »Sie hieß La Clementina, jetzt erinnere ich mich«, sagte Bortuzzi und verfiel in dumpfes Schweigen.

    Die Orangen wuchsen in jenem Jahr üppiger als sonst. Puglisi bemerkte das, während er sich mit Catalanotti hinter einem steinernen Mäuerchen wenige Meter vom Hause Decus entfernt auf die Lauer legte. Der Tag brach mit einem lästigen, frischen Wind an, der nichts Gutes versprach. Der Kommissar spürte die Kälte doppelt wegen der Müdigkeit in seinen Knochen. Mit Absicht hatte er sich nicht hingelegt, denn in der Horizontalen wäre er für zwei Tage oder gar länger in bleiernen Schlaf gefallen. So war er am Abend zuvor nach der Unterredung mit Don Pippino Mazzaglia nach Hause gegangen, hatte sich gewaschen, umgezogen und war in seinem Zimmer auf und ab gegangen. Nach einer gewissen Zeit hatte er das Bedürfnis verspürt, frische Luft zu schnappen, und hatte sich Richtung Strand aufgemacht. Er spazierte am Meeresufer entlang und dachte, was er nur für einen Mist mit Agatina angestellt hatte. Ja, es war Scheiße. Wenn die Geschichte weiterging, was er sich wünschte, würde der Ehemann zweifelsohne davon Wind bekommen. Eifersüchtig, wie er war, würde er zur Gegenwehr ansetzen. Und der Herr Kommissar, der Arm des Gesetzes, würde im ganzen Ort einen Skandal auslösen und ein schlechtes Beispiel abgeben. Nein, das ging nicht. Mit Agatina mußte es bei einem Wiedersehen so aussehen, als wäre nie etwas zwischen ihnen gewesen. Aber nicht nur das, Agatina selbst müßte begreifen, daß es keine
      Das Haus der Garzìa, einst reiche und angesehene Leute, war völlig heruntergekommen. Das Dach war zur Hälfte eingestürzt, das durchlöcherte Vordach schützte kaum noch vor Regen und Wind, und an den Fenstern und an der großen Tür in der Mitte des Hochparterres fehlten die Läden und die Fensterscheiben. Die Zimmer im oberen Stockwerk waren eindeutig unbewohnt, Decu und sein römischer Freund mußten somit im Erdgeschoß schlafen. In geduckter Haltung machte Puglisi einen Spurt bis zur Haustür. Nichts geschah. Also stellte er sich seitlich neben die Tür, streckte den Arm aus und klopfte. Keine Antwort. Er versuchte es noch einmal stärker.
      »Wer ist da?« kam eine verschlafene Stimme aus dem Innern.
      Puglisi merkte sofort, daß der da drinnen Theater spielte und nur so tat, als sei er gerade erst aufgewacht.
      »Ich bin's, der Kommissar Puglisi. Ich muß mit Ihnen sprechen. Kommen Sie heraus.«
      »Ich komme gleich, eine Minute Geduld bitte«, und die Stimme klang gar nicht mehr verschlafen, sondern hellwach.
      Die Tür ging auf, und Decu stand da, in Wollunterwäsche und mit einer Decke über den Schultern.
    »Guten Morgen, Herr Kommissar. Was gibt es?«
    »Wo ist der Römer?«
    Decu blinzelte, was seine Überraschung zum Ausdruck
    »Geh du voran«, befahl Puglisi mit dem Revolver in der
    Hand. Die Hausdurchsuchung dauerte nur wenige Minuten. Es gab keine Spur von dem Römer. Puglisi merkte, wie blinde Wut ihn überkam. Da mußte ihm jemand zuvorgekommen sein und die Dinge so gedreht haben, daß der Mazzini-Anhänger verschwinden konnte. Aber noch war das Spiel nicht verloren.
      »Zieh dich an«, sagte er zu Decu. »Wir gehen jetzt in
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