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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper
Autoren: Andrea Camilleri
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Vasconcellos, »hat dieses Paket für Sie hinterlassen. Es sind Bücher. Er sagt, sie mögen mit Dank für die Leihgabe ihrem rechtmäßigen
      Don Memè, in Gedanken verloren, ging wie ein Idiot in die Falle.
    »Fastenzeit? Im Dezember?«
    »Dezember oder Januar, die Ballsaison ist zu Ende.«
      Er hatte es geschafft, dieser Totengräber Vasconcellos, sein ganzes Gift zu verspritzen, wie der Tintenfisch es mit seiner Tinte macht.

    Don Memès Wut war so groß, daß sein Kopf in der Kutsche auf dem Nachhauseweg summte, als wäre er voller Fliegen, Bienen und Hornissen. Und da die Wut immer ein schlechter Ratgeber ist, ließ Don Memè das Pferd kehrtmachen und schlug den Weg zu einem abgelegenen Haus in seiner Besitzung bei Sanleone ein. Dort angekommen, aß er mit geringem Appetit ein Stück Frischkäse und ein in Wein gekochtes Huhn. Danach fiel ihm auf, daß die zwei Dutzend Orangenbäume im Garten so voll hingen, daß sich die Zweige bogen. Er nahm einen aus Palmblättern geflochtenen Korb und machte sich an die erste Reihe. Jetzt wollte er an nichts mehr denken und erst einmal alles überschlafen. Dann würde er entscheiden, was zu tun war. Eine Sache aber war sonnenklar: wenn der Präfekt glaubte, sich seiner so einfach entledigen zu können, war er ein größeres Arschloch, als er gedacht hatte. Den Affront, den er in der Präfektur vor aller Augen hinnehmen mußte, würde er ihm übers Maß heimzahlen. Don Memè ging ihm entgegen, wie es der Anstand verlangte.
      »Wie schön! Was für eine herrliche Überraschung! Woher wußten Sie denn, daß ich hier bin?«
      »Wenn ich mir in den Kopf setze, einen ausfindig zu machen, dann kriege ich den! Selbst wenn er sich als Floh im Fell eines Hundearschs verkrochen hat.«
      Sie lachten. Sparma stieg vom Pferd, trat ins Haus und ließ sich ein Glas Wein anbieten. Nachdem Don Memè eine angemessene Zeit hatte verstreichen lassen, um weder zu neugierig noch zu erschrocken zu klingen, fragte er: »Was verschafft mir die Ehre?«
      »Der Abgeordnete hat mich geschickt. Er möchte mit Ihnen reden.«
    »Heute noch?«
    »Nein, nein, es hat Zeit. Es ist nichts von Bedeutung.«
    »Wie geht's dem Herrn Abgeordneten? Ist er wohlauf?«
      »Dem Himmel sei gedankt, gesundheitlich geht es ihm gut. Aber heute morgen hat er sich sehr ärgern müssen.«
    »Über wen, wenn die Frage gestattet ist?«
      »Über einen aus Favara. Der Abgeordnete sagte, daß dieser Herr aus Favara nicht den Unterschied zwischen einem hergelaufenen Großmaul und einem Ehrenmann begriffen hat.«
    »Ach ja? Und wie hat der Abgeordnete diesen
    Worte des anderen machten ihn mißtrauisch. Er wollte sehen, was der da im Schilde führte.
      Sie verließen das Haus. Gaetanino nahm den Sammelkorb und pflückte mit Don Memè Orangen vom selben Baum.
      »Der Unterschied«, setzte der Feldhüter seine Rede fort, »besteht nicht nur im Äußeren, sondern in der Substanz. Dieser Herr aus Favara hat sich wer weiß warum mit einem hohen Beamten im Ort zusammengetan. Ein Herz und eine Seele sind sie geworden. Und so hat er anstelle dieses Beamten das gemacht, was eben dem Beamten oder, anders gesagt, dem Gesetz nicht erlaubt ist zu tun. Gewalttätige Übergriffe, Schandtaten, üble Sachen. Einen in der Öffentlichkeit mit Fausthieben traktieren, ihn unschuldig ins Gefängnis werfen, das sind – so sagt der Abgeordnete – Äußerlichkeiten. Aber um solche Dinge zu machen und dabei nicht das Ansehen zu verlieren und vor allem nicht das der Freunde, die dir Vertrauen schenken, dazu braucht es Substanz. Wenn sich aber herausstellt, daß du gar keine Substanz hast, im Innern hohl bist, dich im Wind biegst wie ein dürrer Zweig, da wirst du ein anmaßender Diener und schlimmer noch ein anmaßender Diener des Gesetzes, was von Natur aus verkehrt ist. Ist der Herr auch dieser Meinung?«
    »Gewiß bin ich dieser Meinung.«
    »Nun kann ein Großmaul, das sich für einen Ehrenmann hält, Schaden anrichten, und zwar sehr großen Schaden.«
    Der Sinn der Rede war klar. Don Memè würde sich vor
    dem Gesetz verantworten müssen, seine Beziehungen zum Präfekten erklären und sich rechtfertigen. Die Beleidigung, als Großmaul bezeichnet worden zu sein, brannte ihn heftig. Er hatte keine Lust mehr, Sparma zwischen den Beinen zu haben.
      »Die Körbe sind voll«, sagte er. »Gehen wir sie ausleeren.«
    Er beugte sich vor, um seinen Korb zu heben, und das war die letzte Bewegung in seinem Leben. Gaetanino war
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