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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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    Dem jungen Flugblatthändler, der eine Brille auf der Nase trägt, hinter der lustige, scharfsinnige Augen blitzen, scheint es offensichtlich Vergnügen zu bereiten, dem Publikum mit dramatischen Neuigkeiten aufzuwarten.
    „Hochverehrtes Publikum, ich erzähl Euch jetzt die Mär vom Buntding, die sich in der nördlichen Stadt Hameln wahrlich so zugetragen hat“, beginnt er mit dramatischem Unterton.
    „Seit langer, langer Zeit schon erzählen es sich dort die Mägde in den Spinnstuben, die Gesellen in den Schenken, die Reiberinnen im Badehaus, die Stadtbürger an ihren heimischen Öfen: Die alte Mär vom Buntding, der die Seelen der Kinder entführt. Jedes Jahr um den Mittsommertag, so heißt es, kommt ein Jäger im vielfarbigen Gewand in die Stadt Hameln mit einem roten, wunderlichen Hut und lockt mit seinem betörend schönen Flötenspiel die Kinder von den Gassen und Plätzen. Willenlos verzaubert folgt ihm die stille Schar, 130 an der Zahl, aus der Stadt hinaus. Er führt sie durch den Wald bis hin zur Mühle, wo sie auf Nimmerwiedersehen verschwinden, ihrer unsterblichen Seelen beraubt…“
    Da setzt mit einem Mal lauter Trommelwirbel ein, der die baldige Hinrichtung verkündet. Alle Leute, die sich eben noch um den Flugblatthändler geschart haben, drängen nun in Richtung Galgen und lassen den Vortragenden einfach stehen. Keiner will das Spektakel des Aufknüpfens versäumen.
    Ganz verlassen steht der junge Mann da und blickt etwas irritiert um sich. Der Platz ist wie leer gefegt, nur noch die Händler, Marktschreier, Garköche und Schankwirte verharren hinter ihren Verkaufsbuden. Mäu tut der Flugblatthändler ein wenig Leid, aber sie traut sich nicht, ihn anzusprechen. Gut sieht er aus und so gelehrt. Zu gelehrt für mich!, entscheidet sie und wendet sich zum Gehen. Von weitem sieht sie den „Tanzstoffel“, der, in Ketten gelegt und von den Henkersbütteln bewacht, vom Henkersverlies zum Rabenstein geführt wird, ein kleiner, lustiger Kerl, der gut die Fiedel zu spielen versteht und gar possierlich dazu tanzt.
    Auf seinem letzten Weg aber ist sein Gang schleppend, die Beine wollen ihn kaum tragen. Mäu fühlt Mitleid mit ihm. „Herr Jesu, steh ihm bei“, flüstert sie und bekreuzigt sich.
    „Und du scheinst keine Hinrichtungen zu mögen?“, fragt plötzlich eine Stimme hinter ihr. Mäu zuckt zusammen und dreht sich um. Der Flugblatthändler!
    „Nein, überhaupt nicht. Ich geh nur zum Galgenfest, weil hier was los ist. Wenn die Hinrichtung kommt, geh ich meistens“, stottert sie und merkt, wie sie errötet.
    „Das ist bei mir genauso. Wenn du erlaubst, begleite ich dich ein Stück.“
    Gemeinsam schlagen sie den Weg aufs freie Feld ein, reden nicht viel und schlendern bald am Ufer des Mains entlang. Kurz vor dem Abdeckerhof trennen sie sich dann. Unmutig geht Mäu alleine weiter.

 
2. Da, wo der Hund begraben liegt
     
     
     
    Ein dunkelgrau gewandeter Mann mit einem spitzen, roten Hut huscht durch die menschenleeren Gassen der Stadt. Er ist mit einem schweren Holzbrügel bewaffnet und scheint auf irgendetwas zu lauern. Zwischendurch hält er kurz inne, spurtet plötzlich wieder los, vorbei an der Bartholomäus Pfarrkirche, am Spital zum Heiligen Geiste biegt er ab und rennt im Schweinsgalopp weiter in Richtung Römer. Kurz vor St. Nikolai schlägt er dann zu. Ein lautstarkes Jaulen und Wimmern ist zu vernehmen, dann wird es still.
    Endlich hat er ihn erwischt, den verdammten Köter! Edu Dunckel, seines Zeichens Schinder, Abdecker, Kloakenreiniger und Hundshäuter im Dienste der Stadt Frankfurt, wischt sich keuchend den Schweiß von der Stirn: Für das Hundeschlagen wird er langsam zu alt. Er beugt sich herunter, packt den blutverschmierten Hundekadaver und schleppt ihn zu seinem Schinderkarren, den er am Liebfrauenberg abgestellt hat. Ganz schön groß und schwer, das Mistviech! Na, das gibt schon ein paar feine Handschuh’. Der Abdecker wirft den toten Hund in den Karren zu den anderen Kadavern. Erst vier Hunde hat er heute erschlagen. Das ist nicht viel, er muss also nochmal seine Runde drehen, auch wenn ihm das überhaupt nicht behagt. Und dann noch diese Hitze! Aber er kann es sich nicht aussuchen. Gerade jetzt ist eine gute Zeit zum Hundeschlagen, weil vorhin alles zum Galgenfeld gerannt ist, um die Hinrichtung zu bestaunen. Danach kommen sie alle wieder zurück und laufen ihm vor den Füßen, behindern ihn bei der Arbeit, die Stadtbürger. Und manch einer beklagt sich auch
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