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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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Vagantenleben ist das Bruderschaftsspital ihre letzte Station. Marie reicht der Alten eine Schüssel Brühe und ein Stück rindenloses Brot.
    „Niemand weiß, wie alt Mutter Tilla wirklich ist. Ihr Geist hat sich im Alter zwar etwas getrübt, aber sie hat immer noch die Augen eines Adlers. Sie ist uns eine große Hilfe und näht uns die ganze Wäsche. In jungen Jahren war sie eine berühmte Seiltänzerin und hatte viele Verehrer.“
    Auf der Frauenseite befinden sich außerdem noch zwei hochschwangere Wöchnerinnen. Die eine gehört einer fahrenden Komödiantentruppe an, die andere ist Marionettenspielerin, wie Marie erläutert.
    „Und hier haben wir Ludmilla, eine berühmte Tierbändigerin aus Böhmen, die sich bei ihrer Bären-Dressur das Bein gebrochen hat“, stellt die Hebamme eine dunkelhaarige Frau slawischen Typs vor.
    Am Ende des Frauenflügels, durch Vorhänge abgetrennt, befinden sich das Bett von Mäu. Der Medicus und ein Helfer sind bei ihr und legen kalte Wickel um Waden und Stirn der Fiebernden. Ihr leises Wimmern ist zu vernehmen, dann schreit sie plötzlich so laut auf, dass alle erschrocken zusammenfahren. Keuchend hält sie sich den aufgeblähten Leib, Schweißperlen treten ihr auf die Stirn.
    „Sie wird sich entleeren müssen, Lukas, bring den Nachttopf“, ordnet der Hospitalmeister an und richtet die Kranke auf. Mäu brüllt vor Schmerzen, während sie ihre Notdurft verrichtet. Ihr Stuhlgang ist hart und spärlich.
    „Das ist typisch für den Verlauf des Fiebers. Nach ungefähr einer Woche wird sich das umkehren. Sie wird dann unter heftigem Durchfall leiden, mit blutigem, eitrigem Stuhl. In dieser Phase zeigt sich dann ein fleckiger Hautausschlag auf dem Leib. Nach der dritten Woche erst fällt das Fieber langsam ab und die Koliken lassen nach. Wenn sie es bis dahin geschafft hat, ist sie überm Berg. Das Fieber befällt besonders die geschwächten Leute, die ihm nichts entgegenzusetzen haben und tritt überwiegend in der späten Jahreszeit auf. Vielleicht kommt sie ja durch. Lasst uns in jedem Fall guter Hoffnung sein“, wendet sich Meister Bernhard an Albert. Die Köchin erscheint mit einer Kanne Kamillentee, die sie neben die Kranke auf ein Tischchen stellt.
    „Wenn Ihr wollt, könnt Ihr ihr davon etwas eingeben. Sie ist durch das Fieber wie ausgetrocknet. Aber sie darf jedesmal nur kleine Mengen trinken, sonst gibt sie gleich alles wieder von sich.“
    Albert hebt behutsam Mäus Kopf an und flößt ihr vorsichtig etwas Tee ein. Sie trinkt in gierigen Schlucken.
    „Langsam, langsam“, warnt die Hebamme und da ist es auch schon zu spät, denn sogleich erbricht die Fiebernde unter krampfartigem Würgen den Pflanzensud, der mit schaumiger, gelblicher Gallenflüssigkeit durchmischt ist. Dabei stöhnt sie laut auf und wirft sich unruhig auf ihrem Lager hin und her.
    „Man hat das Gefühl, das Weiblein kotzt sich schier die Seele aus dem Leib! Als würde der Körper sagen: Der ganze Dreck muss raus, den ich all die Jahre im Kerker fressen musste“, bemerkt der Medicus nachdenklich und streicht der Kranken beruhigend über die eingefallenen Wangen.
    Im Laufe des Tages verschlechtert sich Mäus Zustand. Mit weit geöffnetem Mund liegt sie in tiefer Apathie auf ihrem Bett und würde sie nicht so lautstark röcheln, könnte man sie für tot halten. Besorgt beugt sich der Medicus über die Kranke und ertastet ihren Puls.
    „Eure Frau befindet sich bereits in der Agonie. Ob sie diese Nacht überstehen wird, ist fraglich. Ihr Puls ist mal so schwach, wie bei einer sterbenden Greisin, dann rast er wieder wie ein wildes Pferd. Das Herz hat schwer mit dem Fieber zu kämpfen, ich gebe ihr etwas Theriak ein, das wird sie stärken und beruhigen. Bleibt ruhig weiter bei ihr sitzen und haltet ihr die Hand, damit sie merkt, dass sie Beistand hat“, wendet sich der Medicus an Albert.
    Die ganze Nacht verbringt Albert an Mäus Bett und kümmert sich rührend um sie. Im Morgengrauen, als ihr Atem immer flacher wird, bricht seine ganze Verzweiflung durch und er birgt sein Gesicht an ihrer pfeifenden Brust, immer wieder schluchzend, sie möge ihn doch nicht verlassen. Meister Bernhard, der hinzugekommen ist, lässt den Weinenden gewähren. Erst als sich Albert nach einer Weile wieder erhebt, richtet er das Wort an ihn:
    „Das Fieber ist für sie wie eine Katharsis. Sie verbrennt in sich all ihre erlittenen Qualen und das müssen in zehn Jahren Dunkelhaft eine ganze Menge gewesen sein. Entweder sie stirbt
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