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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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und versuchen, ihr viel Flüssigkeit einzugeben. Es kann noch Wochen dauern, bis das Fieber abfällt. Wenn sie stark ist, wird sie durchkommen. – Aber so geschwächt und ausgelaugt wie sie ist, habe ich daran meine Zweifel. Uffstein, so Leid es mir tut, Ihr werdet mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Entscheidend aber ist letztendlich die Lebenskraft, die selbst noch in Todgeweihten schlummern kann und nicht selten dazu beiträgt, dass sie dem Tod noch einmal von der Schippe springen“, erläutert der Hospitalmeister ernst.
    „Die Krankheit ist nicht übermäßig ansteckend, trotzdem sollten wir sie von den anderen Siechen im Krankensaal separieren und ihre Kleidung verbrennen“, ordnet Meister Bernhard an.
    Nachdem Mäu fürs Erste versorgt ist, lädt der Medicus Albert zu einem Teller heißer Suppe in den Speisesaal ein.
    Es ist Mittagszeit und um den großen Holztisch versammeln sich nach und nach die Bewohner der angeschlossenen Bettlerherberge sowie die nicht bettlägerigen Spitalinsassen, die Bediensteten, der Hospitalmeister und seine Gattin Marie, gefolgt von Albert. Die Köchin stellt einen großen Topf Suppe auf den Tisch und setzt sich dazu.
    Meister Bernhard stellt der Tafelrunde, welche sich aus acht Männern und fünf Frauen unterschiedlichen Alters zusammensetzt, den neuen Gast vor.
    „Bei uns herrscht ein ständiges Kommen und Gehen, denn unsere Bruderschaft kümmert sich nicht nur um Ortsfremde, sondern besonders auch um das fahrende Volk und die haben ja bekanntlich immer Hummeln unterm Hinterteil. Sobald es ihnen besser geht und sie gestärkt sind, zieht es sie wieder auf die Wanderschaft. Es gibt kaum eine Vagantenzunft, die hier noch nicht vertreten war“, erzählt der Hospitalmeister dem Neuankömmling. „Aber was rede ich da, Ihr habt ja momentan weiß Gott keinen Sinn für mein Geplapper“, äußert er schließlich verständnisvoll, als er bemerkt, dass Albert, der ganz krank vor Sorge um Mäu ist, ihm kaum zuhört und auch keinen Appetit zeigt.
    „Kommt, esst doch wenigstens was, so ausgehungert wie Ihr ausseht. Wenn Ihr vom Fleisch fallt, wird Eure Frau auch nicht eher gesund! Es ist noch genug Brot und Brühe da. Und überdies: Unsere Herbergsgäste geben für Kost und Logis, was sie geben können und ansonsten machen sie sich in Herberge und Spital nützlich, solange sie da sind. Und zwar gilt das für alle, denn an Arbeit fehlt es bei uns nie“, wirft Marie, die Spitalhebamme, resolut ein und wird dafür von ihrem Ehemann mit einem unwilligen Blick bedacht.
    „Frauen haben immer so was Praktisches. Und meine Marie sagt grundsätzlich einem jedem, was sie denkt, ob er’s nun hören mag, oder nicht, auch wenn’s manchmal nicht gerade passend ist“, kontert Bernhard leicht gereizt.
    Albert entnimmt sogleich seinem Brustbeutel den Taler Zehrgeld, den sie von der Stadt Frankfurt bekommen haben und legt ihn auf den Tisch.
    Marie nimmt das Geldstück an sich und wirkt dabei etwas verlegen.
    Nach dem Essen betritt Albert mit dem Hospitalmeister und seinem Helferstab den Krankensaal. Das Spital der Elendsbruderschaft zu Bingen verfügt über zwanzig Betten. Zum festen Personal gehören der Hospitalmeister Bernhard, seine Frau, die Hebamme Marie und zwei Krankenwärter, beides ehemalige Vaganten. Gelegentlich gehört dem Spital noch ein weiterer Wundarzt an, ein gewisser Meister Hans, der als fahrender Chirurgus durch die Lande reist und dem Spital seine Dienste unentgeltlich zur Verfügung stellt, wenn er auf der Durchreise ist. Bertha, die Köchin, die früher einmal eine fahrende Hübscherin war, und Karl, der Herbergsvater, der in jungen Jahren einer großen Räuberbande angehörte, stellen das Herbergspersonal. Alle anderen Arbeiten und Hausdienste werden von den Herbergsbewohnern und Spitalinsassen, die minder schwer erkrankt sind, selber übernommen. Selbst Alte und Pflegefälle erfüllen ihre jeweiligen Funktionen innerhalb des Tagesablaufs. Das Spital ist eine eigenständige kleine Welt für sich, in der jeder seinen Platz und seine Aufgaben findet. Albert fällt auf, wie blitzsauber alles ist.
    Um Albert ein wenig auf andere Gedanken zu bringen, führt die Hebamme Albert durch den Frauentrakt und macht ihn nach und nach mit den Patientinnen bekannt.
    In ihrer Bettstatt in der Ecke sitzt eine alte, zahnlose Greisin, die mit krummem Rücken über eine Näharbeit gebeugt ist. Mit gichtigen, doch flinken Fingern flickt sie die Siechenwäsche des Spitals. In ihrem langen
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