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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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sie ein erstaunliches Geschöpf, ein wahrer Phönix aus der Asche. Er erzählt Mäu von dem heiligen Vogel der Ägypter, der sich in bestimmten Abständen selbst verbrennt und immer wieder aus der Asche neu aufsteigt. Mäu gefällt der Vergleich, sie lächelt kurz in sich rein und bemerkt dann trocken, dass ein Schindaas wie sie halt nicht so leicht totzukriegen ist.
    Oft hat auch sie ihm geholfen, hier unten im Hades. Hat ihn ins Leben zurückgeholt, ihn geerdet, wenn ihn die Verzweiflung wieder einmal zu verschlingen drohte. Letztendlich verdankt Albert ihr sogar sein Leben. Mäu hat ihn liebevoll umsorgt, als er an einem schweren, heimtückischen Fieber erkrankt war. Tagelang hat sie auf die eigene Wasserration verzichtet, damit sie den Kranken tränken und ihm feuchte Umschläge zur Dämpfung des Fiebers bereiten konnte. Seinen glühenden Kopf hat sie an ihrer ausgezehrten Brust geborgen und den Delirierenden zu beruhigen versucht. Dank ihrer fürsorglichen Pflege langsam auf dem Wege der Besserung, hat sie den geschwächten Mann, um ihm wieder Kraft zu geben, mit Brotkügelchen gefüttert wie einen kranken Nesthocker.
    Niemals haben sie sich darüber Gedanken gemacht, ob es nun Liebe ist, was sie verbindet. Sie halten sich gegenseitig am Leben, wiegen sich in den Schlaf und wärmen sich gegen die Kälte. Das ist ihnen genug.

 
23. Die Elendsbruderschaft
     
     
     
    Inmitten der Pestwirren im Jahre 1517 wird dem Rat der freien Reichsstadt zu Frankfurt am Main ein Bittbrief hinterbracht, geschrieben auf schlechtem, stockfleckigem Papier, unterzeichnet von einer Frau mit Namen Maria Dunckel. In dem Schreiben beklagt die Bittstellerin, seit nunmehr zehn Jahren im Brückenloch einzusitzen. Man hatte sie offenbar vergessen. Der Brief, in der dritten Person gehalten, wird hier im Wortlaut wiedergegeben:
     
    An die Herren des Rates zu Frankfurt am Main Sie hat gelegen verborgen wohl zehn Jahr im Brückenloch unter den unvernünftigen Tieren. Lasset Euch erbarmen ihrer! Sie hat großen Hunger und Durst und Frost gelitten. Sie hat gebüßet wie wenn sie ein wilder Heide war. Den Brief will sie dem ganzen Rat geben. Gebe Gott im Himmel, dass er werd gelesen und sie wollen auch Recht darauf geben , dass die Arme in dem Loch nicht verderbe! Sie muss liegen neben den wahnwitzigen Leuten. Zu Hilf! (Maria Dunckel)
     
    Maria Dunckel und Albert von Uffstein werden noch im gleichen Jahr aus der Dunkelhaft entlassen und kurze Zeit später vom Rat begnadigt. Die unterernährte, durch die lange Haft körperlich und seelisch gebrochene Frau wird zunächst in das Heiliggeistspital eingewiesen und dort auf Kosten des Rates medizinisch versorgt. Während dieser Zeit weicht der Flugblatthändler Albert von Uffstein, der die letzten zwei Jahre ihr Mitgefangener war und ihr während der Haft das Schreiben beigebracht hatte, nicht von ihrer Seite. Ein Wärter, für den Uffstein gelegentlich Schreibarbeiten tätigte, hatte ihm dafür als Gegenleistung Papier und Feder überlassen, welches schließlich für den Bittbrief Verwendung fand.
    Nachdem Mäu so weit gekräftigt ist, dass sie wieder gehen kann, ziehen die beiden ins Rheinland bis nach Bingen, wo sich Folgendes ereignet:
    Jakob Haubricht aus Lorch, schon in der dritten Generation Rheinschiffer, eilt keuchend die steile Spittelbergsgasse nach oben. Ein paar Mal schon ist er ausgerutscht und wäre fast hingefallen, denn das feuchte Kopfsteinpflaster ist an diesem kalten Novembermorgen stellenweise von einer dünnen Eisschicht überzogen, feine Eiskristalle rieseln durch die Luft. Breitbeinig, wie auf wankenden Schiffsplanken, hastet er voran. Endlich steht er vor dem mächtigen Holzportal des Bürgerhospitals zu Bingen. Neben dem Klappladen, durch den die täglichen Armenspeisungen gereicht werden, befindet sich ein eiserner Türklopfer, den Haubricht kraftvoll betätigt. Nach geraumer Zeit sind Schritte zu vernehmen, und der Laden öffnet sich quietschend nach außen.
    „Was ist Euer Begehren“, fragt der kahlköpfige Spitaldiener und verzieht dabei mürrisch sein längliches Pferdegesicht.
    „Drunten am Rhein in einem unsere Schiffe liegt eine schwerkranke Frau. Ihr Ehemann hat uns am Hafen um Hilfe gebeten und wir haben die Kranke reingeholt und auf eine Pritsche gelegt. Ist in ganz jämmerlichem Zustand das arme Ding, hat Schüttelfrost und glüht vor Fieber. Braucht dringend Hilfe, kann keinen Schritt mehr tun und muss wohl mit dem Siechenkarren abgeholt werden. Am besten
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