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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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Buden, zwischen denen schmale Trampelpfade und enge Trittstege verlaufen, so zahlreich sich kreuzend wie die Falten im Gesicht eines Hundertjährigen. Mäu ist hier aufgewachsen und kennt jeden Winkel.
    Als sie aber jetzt durch die Gassen läuft, wirkt alles wie ausgestorben. Genau wie die Bürger aus der Stadt und der ortsansässige Adel drängen sich alle Bewohner auf dem Galgenfeld. Heute, genau um 12 Uhr mittags, soll der „Tanzstoffel“, ein kleiner Gauner, Gelegenheitsdieb und Wilderer, aufgehängt werden. Der Mann ist kein sonderlich spektakulärer, bekannter Verbrecher, aber Hinrichtungen sind, ähnlich wie der Jahrmarkt oder die Messen, stets beliebte Attraktionen für alle Stände, wo man sich in einer Atmosphäre verlustiert, die gleichermaßen Spannung und Zerstreuung bietet.
    Mäu gehört zu den Nachzüglern, die noch auf dem Weg zur Richtstätte und dem sie umgebenden bunten Treiben sind. Endlich hat sie die Ausläufer erreicht, und die ersten Verkaufsstände werden sichtbar. Es riecht nach Gesottenem, Gebratenem und nach Räucherspeck, nach Zimt, Honig, gebrannten Mandeln, Anis und Ingwer, kurzum nach allen Wohlgerüchen des fernen Orients und der heimatlichen Fleischerinnung. Sie verspürt Heißhunger und beim Gedanken, dass sie sich etwas von den Köstlichkeiten wird kaufen können, läuft ihr das Wasser im Munde zusammen. Noch ganz in ihre Überlegungen versunken, was für einen Schmaus sie wählen könnte, um endlich einmal wieder das tägliche Einerlei von dünner Brotsuppe und Haferbrei zu durchbrechen, wird sie unversehens von lautem Lärmen und Anfeuerungsrufen gleich in der Nähe aufgeschreckt. Neugierig blickt sie sich suchend um und erspäht einen Tisch, an dem sich zwei vierschrötige Männer gegenübersitzen und, umgeben von einem kleinen Schwarm von Zuschauern, die durch ihre lautstarken Kundgebungen und Rüpeleien unschwer als Sympathisanten der jeweiligen Kontrahenten auszumachen sind, ein Armdrücken veranstalten.
    Na, da sind ja die Richtigen aneinander geraten, denkt sich Mäu beim Anblick der beiden Männer und muss grinsen. Sie kennt die beiden Kampfhähne, es sind der Bettelvogt und der Waldbüttel. Tatsächlich scheint es sich bei den beiden um ebenbürtige Gegner zu handeln, kräftige, feiste Burschen ähnlicher Statur, mit denen sich nur wenige anlegen würden, so wild und furchterregend sehen sie aus.
    Und beide sind auch im Alltag gefürchtet, besonders aber in der Ausübung ihrer Professionen als harte Schleifer berüchtigt.
    Der eine, breitschädelig und rotgesichtig, mit strähnigen rötlichen Haaren und noch roterem Bart, ist der Aufseher über das gesamte Frankfurter Waldareal. Alle Einheimischen kennen ihn unter dem Spitznamen „Waldschrat“. Er hat die Aufsicht über Wald und Jägerei, Waldweide, Honig- und Holznutzung sowie die Fischbestände aus den Fischteichen. Nur der Stadt Frankfurt obliegt die Nutzung dieser Erträge, darum besteht die wichtigste Aufgabe des städtischen Waldbüttels darin, Wilderern und Holzdieben das Handwerk zu legen und das unbefugte Fischen und Angeln zu verhindern. Auf solcherart Vergehen steht nicht selten die Todesstrafe, zumindest aber das bei Diebstahl übliche Handabhacken – vorausgesetzt es überlebt einer die wilde Hatz des Waldschrats und seiner Gehilfen, der so genannten „Holzleute“. Denn wenn sie einen Wilderer oder Fischdieb auf frischer Tat ertappt haben und dieser die Flucht ergreift, dann verfolgen sie ihn, kreisen ihn ein und schießen mit Armbrüsten auf den Frevler.
    Der Todeskandidat des heutigen Galgenfestes, der Tanzstoffel, hatte das zweifelhafte Glück, vom Waldschrat im Sachsenhäuser Forst lebendig gefangen worden zu sein, um nun seiner für Wiederholungstäter üblichen Strafe, dem Tod am Galgen, zugeführt zu werden.
    „Streng dich an, Grünratt * , meinen letzten Groschen hab ich auf dich gesetzt! Den Stoffel haste an den Dullmen * * gebracht, und mich bringste hoffentlich an den Bierkrug. Das glaubt mir keiner, dass ich auf einen Büttel setzen tu!“, krächzt es heiser aus dem Publikum und wird mit kehligem Gelächter quittiert.
    Mäu blickt in die Richtung des Rufers und erkennt Leo, den Regenmacher. Die meiste Zeit reist er von Jahrmarkt zu Jahrmarkt durchs ganze Land, kommt aber immer gern zu alten Freunden ins Galgenviertel, um die Frankfurter Messe zu besuchen oder einfach, um sich für ein paar Wochen von dem rauen, anstrengenden Leben auf der Straße zu erholen.
    „Drück ihn runner,
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