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Die Siechenmagd

Die Siechenmagd

Titel: Die Siechenmagd
Autoren: Ursula Neeb
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sie sie einfach so nehmen, wie sie ist. Außerdem sind die Narren noch verlumpter als sie selbst und stinken zum Gotterbarmen. Aber das stört sie nicht. Jedenfalls hat noch nie einer von ihnen sie beschimpft oder verjagt, wie das sonst so häufig vorkommt in Frankfurt.
    Ihr Name ist Maria Dunckel, aber alle nennen sie nur „Mäu“. Sie ist die Tochter des städtischen Abdeckers, Hundshäuters und Kloakenreinigers Edu Dunckel. Mäu ist fünfzehn Jahre alt und hat trotz vereinzelter Pockennarben an Wangen und Stirn ein hübsches Gesicht mit strahlenden grünen Augen. Ihr volles, kastanienbraunes Haar, das ungebändigt nach allen Seiten absteht, wirkt sauber, aber unfrisiert und trägt nicht unerheblich zu einem verwilderten Gesamteindruck bei. Auf der wohlgeformten, leicht nach unten gebogenen Nase befinden sich mehrere Sommersprossen, was dem anmutigen Mädchengesicht eine verschmitzte Note verleiht. Insgesamt von athletischem Körperbau, künden die muskulösen Beine mit den starken Fesseln, ebenso wie die kräftigen, sonnengebräunten Arme des Mädchens von harter körperlicher Arbeit.
    „Kerle, es wird ja immer doller, jetzt kommen auch noch die Damen von Stalburg!“, ruft sie und starrt mit offenem Mund zum Stadttor hin.
    Zwei weiße Zelter, von Pagen an Zügeln geführt, kommen durch den weiten Torbogen. Auf den kraftvollen, ruhigen Tieren thronen Damen, die feinen, bleichen Gesichter unter kunstvollen Flügelhauben von farbigen Seidenschleiern umwebt. Neben den Pagen gehen livrierte Almosengeber, die auf ein knappes Handzeichen ihrer Herrinnen hin Münzen zum Narrenkäfig werfen, Mäu verbeugt sich tief in Richtung der vornehmen Spenderinnen, bevor sie das Geld einsammelt.
    „Na, Verdienste dir wieder ein paar Kröten, Mäu“, spricht plötzlich eine Stimme hinter ihrem Rücken. Mäu fährt herum und sieht sich Auge in Auge mit ihrer Muhme Martha Backes.
    Martha, die jüngere Schwester von Mäus Mutter, ist vielleicht zehn Jahre älter als Mäu und verdient sich ihren Lebensunterhalt als Hübscherin in einem der städtischen Frauenhäuser in der Alten Mainzergasse, unweit der Frauenpforte an der Stadtmauer. Sie ist mit einer Gruppe anderer Hübscherinnen unterwegs, alle in auffallend gelber Kleidung, der von der Obrigkeit verordneten Hurentracht. Martha ist eine der begehrtesten Huren in der Stadt. Ihr langes, offenes Haar leuchtet rotgold und umrahmt ein blasses, ebenmäßiges Gesicht mit hoher, brauenloser Stirn. Die gewölbten Lider sind mit glitzerndem Kohlestaub geschwärzt, und auf den fein geschwungenen Lippen schimmert ein duftender, purpurfarbener Balsam.
    „Da, haste was, du kleine Grott! Vielleicht kommste ja bald zu uns an die Frauenpfort und verdienst dir’s selber“, sagt Martha lachend und steckt Mäu eine Münze zu.
    „So, mir müssen weiter zum Galgenfeld. Nach einer Hinrichtung läuft des Geschäft immer wie geschmiert“, verabschiedet sich Martha. Mäu bedankt sich und blickt der Muhme bewundernd nach.
    „Ei, was ist die so schön, und riechen tut sie immer so gut“, murmelt Mäu versonnen und schnüffelt an ihrem schäbigen Leinenüberwurf.
    „Und ich stink wieder nach Puddel! So, jetzt muss ich aber los, bald kommt die Mutter von den Siechen zurück, und ich soll ihr mit der Wäsch helfen. Aber vorher mach ich noch übers Galgenfest und hol mir was. Ich kann dir einen Weck kaufen und bring ihn dir morgen vorbei.“
    Die kleine Gestalt entfernt sich vom Mainzertor mit dem Narrenkäfig in Richtung Galgengasse. Dort passiert sie die Galgenpforte, die zum Galgenviertel führt.
    Hier draußen auf den westlich der Stadt vorgelagerten Feldern liegt das Quartier der Ausgestoßenen. Es erscheint wie ein eigener Stadtteil, mit Schenken, Bettlerherbergen und Hütten, einer Badestube sogar. Kirche und Rathaus gibt es hier nicht, dafür aber etwas abgelegen die alte Scharfrichterei auf dem Galgenfeld, das einzige Steinhaus im Quartier, in welchem, den Rabenstein mit dem Galgen stets im Blick, der Henker mit seiner Familie lebt. Weiter unten zum Main hin befindet sich der „Gutleuthof“, das städtische Leprösenhospital, und in einiger Entfernung davon die Behausung des städtischen Abdeckers und seiner Familie.
    Die Stadtbürger nennen diesen Bezirk den „elenden Flügel“ oder, wegen seiner Nähe zur Hinrichtungsstätte, einfach das „Galgenviertel“.
    Die Region der Friedlosen ist verschachtelt und scheinbar undurchdringlich in ihrem engen Nebeneinander von schäbigen Hütten und
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