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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes
Autoren: Bram Stoker
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nein! Sicher hätte Vater es mir gezeigt, wenn er gewollt hätte, daß ich es sehe. Ohne seine Erlaubnis tue ich es nicht.« Und dann setzte sie hinzu, damit wir uns durch ihre zartbesaitete Ansicht nicht beleidigt fühlten:
    »Natürlich ist es ganz recht, daß Sie es begutachten. Sie müssen alles untersuchen und richtig bewerten. Ich bin Ihnen überaus dankbar.«
    Sie wandte sich um. Ich sah, daß sie heimlich Tränen vergoß. Mir war kar, daß es sie trotz ihres Kummers und ihrer Ängste kränkte, daß sie so wenig von ihrem Vater wußte. Und daß ihr Nichtwissen geradezu zu diesem Zeitpunkt und inmitten so vieler Fremder zutage treten mußte. Daß es lauter Männer waren, machte die Sache nicht leichter, obgleich die Tatsache in gewisser Hinsicht eine Erleichterung darstellte. Bei näherer Überlegung drängte sich mir der Gedanke auf, daß sie gewiß froh war, weil kein weiblicher Blick – von größerem Einfühlungsvermögen als der Blick des Mannes – in diesem Moment auf ihr ruhte.
    Als ich mich nach meiner Untersuchung, die die Meinung des Arztes bestätigte, wieder aufrichtete, fuhr dieser in seinen Verrichtungen fort. Superintendent Dolan flüsterte mir zu:
    »Ich glaube, wir haben Glück mit unserem Arzt!« Ich nickte, und wollte schon etwas Lobendes äußern, als leise an die Tür geklopft wurde.
     

2. KAPITEL
     
    SELTSAME ANWEISUNGEN
     
    Superintendent Dolan näherte sich leise der Tür. Dank seines angeborenen Instinktes nahm er die Angelegenheit spontan in die Hand. Wir anderen warteten ab. Dolan öffnete die Tür einen Spaltbreit, um sie sodann in einer Geste sichtbarer Erleichterung weit aufzureißen und einen jungen Mann einzulassen. Ein glattrasierter, großer und schlanker junger Mann mit Adlergesicht und hellen, scharfen Augen, die mit einem Blick die ganze Umgebung zu erfassen schien. Der Superintendent streckte ihm die Hand zu einem warmen Händedruck entgegen.
    »Ich kam sofort, nachdem ich Ihre Nachricht erhielt, Sir. Es freut mich, daß ich noch immer Ihr Vertrauen besitze.«
    »Das werden Sie immer besitzen«, entgegnete der Superintendent mit Wärme. »Ich habe die alten Zeiten in der Bow Street nicht vergessen und werde sie nie vergessen!«
    Und dann berichtete er ohne weitere Einleitung alles, was sich bis zum Eintreten des Neuankömmlings ereignet hatte. Sergeant Daw stellte ein paar Fragen – sehr wenige –, wenn es für sein Verständnis der Umstände oder der relativen Positionen der Personen notwendig war. Doch in der Regel kam Dolan, der seine Arbeit gründlich kannte, jeder Frage voraus und erklärte ohnehin alles genau. Sergeant Daw sah gelegentlich mit raschem Blick um sich, sah einen von uns an, dann einen Teil des Zimmers, dann wiederum den Verletzten, der bewußtlos auf dem Sofa lag.
    Kaum hatte der Superintendent geendet, wandte sich der Sergeant mit den Worten an mich:
    »Sie entsinnen sich meiner vielleicht, Sir. Wir hatten im Fall Hoxton miteinander zu tun.«
    »Ich entsinne mich sehr wohl«, sagte ich darauf, ihm meine Hand entgegenstreckend.
    Nun meldete sich wieder der Superintendent zu Wort. »Sergeant Daw, gewiß ist ihnen klar, daß Sie voll und ganz mit dem Fall betraut sind.«
    »Unter Ihrer Leitung, wie ich hoffe«, unterbrach ihn Daw.
    Dolan schüttelte den Kopf und meinte lächelnd: »Mir will scheinen, daß dieser Fall den vollen Einsatz an Zeit und Verstand erfordert. Und ich habe daneben noch anderes zu tun. Doch bleibe ich an dem Fall in höchstem Grade interessiert und helfe gern auf jede mögliche Weise aus.«
    »Also gut, Sir«, sagte Daw, die Verantwortung mit der Andeutung einer Verbeugung übernehmend. Und er begann ohne Verzug mit den Ermittlungen.
    Als erstes wandte er sich an den Arzt und bat ihn, nachdem er Name und Adresse erfragt hatte, einen genauen Bericht zu verfassen, der, wenn nötig, an die übergeordneten Stellen weitergeleitet werden könnte. Doktor Winchester versprach es mit einer ernsten Verbeugung. Dann kam der Sergeant auf mich zu und äußerte halblaut:
    »Mir gefällt der Arzt. Mit dem kann man zusammenarbeiten!«
    Zu Miß Trelawny gewandt bat er:
    »Bitte, setzen Sie mich so genau wie nur möglich über Ihren Vater in Kenntnis. Über seine Lebensgewohnheiten, seine Vergangenheit – alles, wofür er sich interessiert und was ihn betreffen könnte.«
    Ich war nahe daran, ihn zu unterbrechen und ihm mitzuteilen, wie wenig sie über ihren Vater und seine Gepflogenheiten wüßte, als sie mahnend ihre Hand hob und selbst zu
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