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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes
Autoren: Bram Stoker
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schwach ausmachen. In dieser Dunkelheit war das Atemgeräusch, das ich immer deutlicher hörte, furchteinflößend. Und es wollte nicht aufhören. Daneben aber gab es kein anderes Geräusch. Ich schob die Tür mit einem Ruck auf, denn sie langsam zu öffnen, fürchtete ich mich. Ich hatte das Gefühl, dahinter würde etwas Schreckliches lauern und sich auf mich stürzen. Dann schaltete ich das elektrische Licht ein und betrat den Raum. Als erstes sah ich zum Bett hin. Das Bettzeug war zerwühlt, ein Anzeichen dafür, daß Vater zu Bett gegangen war. Doch mitten im Bett war ein großer dunkelroter Fleck, der sich zum Rand hin ausbreitete und mein Herz fast zum Stillstehen brachte. Während ich den Fleck anstarrte, drang wieder das Atemgeräusch an mein Ohr, und mein Blick suchte die Ursache. Da lag Vater auf die rechte Seite gedreht am Boden, den anderen Arm unter sich, als hätte man seinen Leichnam einfach zu Boden geworfen. Die Blutspur verlief quer durch den Raum bis zum Bett. Er war von einer gräßlich roten und schimmernden Pfütze umgeben. Ich beugte mich über ihn, um ihn zu untersuchen. Er lag direkt vor dem großen Safe und war mit seinem Schlafanzug bekleidet. Der linke Ärmel war zerrissen und ließ den nackten Arm sehen, der zum Safe hin zeigte. Oh, schrecklich sah er aus, blutbefleckt, das Fleisch um die goldene Kette am Handgelenk aufgerissen oder zerschnitten. Ich hatte gar nicht gewußt, daß er so ein Ding trug, und diese Entdeckung versetzte mir einen neuen und überraschenden Schock«
    Sie hielt kurz inne. Da ich sie ein wenig ablenken wollte, sagte ich:
    »Ach, das darf Sie nicht wundern. Armbänder werden von Männern getragen, von denen man es am wenigsten vermutet. Einmal sah ich einen Richter ein Todesurteil aussprechen und als er den Arm hob, sah ich, daß er ein goldenes Armband trug.«
    Sie schien meiner Worte nicht zu achten, doch hatte sie sich indes ein wenig gefaßt und fuhr nun ruhiger fort:
    »Ich verlor keinen einzigen Augenblick, denn ich fürchtete, er könnte verbluten. So läutete ich und lief hinaus und rief laut um Hilfe. In kürzester Zeit – obgleich es mir unglaublich lange erschien – kamen einige der Dienstboten gelaufen, dann alle anderen, bis der Raum voller Augen schien, die starrten, voller wirrer Haare und Nachtgewänder verschiedenster Art.
    Wir hoben Vater auf ein Sofa. Und dann sah sich die Haushälterin, Mrs. Grant, die ihre Sinne besser beisammen hatte als wir anderen, danach um, woher das Blut käme. In Sekundenschnelle hatte sich herausgestellt, daß es von dem nackten Arm stammte. Er wies eine tiefe Wunde auf, keinen säuberlichen Messerschnitt, sondern einen gezackten Riß nahe am Gelenk, so tief, daß er bis an die Schlagader reichte. Mrs. Grant umwickelte die Wunde mit einem Taschentuch und verfertigte mit Hilfe eines silbernen Papiermessers eine Art Knebel. Und der Blutstrom versiegte augenblicklich. Inzwischen war ich wieder bei Sinnen – soviel mir davon verblieben war, – und sandte einen Mann nach dem Arzt, einen anderen nach der Polizei. Kaum waren die beiden fort, überkam mich das Gefühl, daß ich bis auf die Dienstboten ganz allein im Haus wäre, und daß ich nichts wußte – von meinem Vater nichts und auch sonst nichts. Da überkam mich das Verlangen nach jemandem, der mir helfen konnte. Ich dachte an Sie und ihr liebenswürdiges Angebot im Boot unter der Weide. Ohne zu überlegen ordnete ich an, man solle einen Wagen sofort bereitmachen, und brachte hastig eine Nachricht an Sie zu Papier, die ich Ihnen überbringen ließ.«
    Sie hielt inne. In diesem Augenblick wollte ich nicht davon sprechen, was ich fühlte. Ich sah sie an, und ich glaube, sie begriff, denn ihr Blick war zu mir erhoben und wurde unvermittelt gesenkt, während sich ihre Wangen rosengleich färbten. Mit sichtlicher Mühe fuhr sie in ihrem Bericht fort:
    »Der Arzt traf in unglaublich kurzer Zeit ein. Unser Bote hatte ihn angetroffen, als er eben seine Haustür aufsperren wollte, und der Gute kam im Laufschritt hierher. Er machte einen richtigen Knebel-Preßverband für Vaters Arm und ging sodann nach Hause, um einige Instrument zu holen. Sicher wird er bald wieder da sein. Dann kam ein Polizist und ließ die Polizeistation benachrichtigen. Gleich darauf war der Superintendent da. Und dann kamen Sie.«
    Nun trat eine lange Pause ein, und ich wagte, einen Augenblick nach ihrer Hand zu fassen. Ohne ein weiteres Wort gingen wir hinaus in die Diele. Der Superintendent kam mit
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