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Die sieben Finger des Todes

Die sieben Finger des Todes

Titel: Die sieben Finger des Todes
Autoren: Bram Stoker
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instinktiv zur Mütze hoch, die andere zog einen Brief aus der Tasche. Vor der Tür stand eine elegante Kalesche mit einem Gespann, dessen schweres Schnauben verriet, das es schnell unterwegs gewesen war. Ein Polizist, mit Nachtlaterne am Gürtel, war vom Lärm angelockt, stehengeblieben.
    »Entschuldigt, Sir, es tut mir leid, daß ich stören muß, aber meine Order verlangt es: Ich sollte keinen Augenblick verlieren und so lange pochen und läuten, bis jemand käme. Darf ich fragen, ob hier Mr. Malcolm Ross wohnt?«
    »Ich bin Malcolm Ross.«
    »Dann ist dieser Brief für Euch bestimmt, Sir, und diese Kalesche wartet auf Euch!«
    Von seltsamer Neugier erfaßt nahm ich den Brief entgegen. Als Anwalt hatte ich hin und wieder sonderbare Fälle, und es konnte durchaus vorkommen, daß etwas Unvorhergesehenes meine Zeit in Anspruch nahm. Ich trat zurück in die Diele und schob die Tür bis auf einen Spalt zu. Der Brief wies eine mir unbekannte Handschrift auf, eine weibliche Handschrift. Er begann ganz unvermittelt ohne jede Anrede.
     
    »Sie sagten, Sie würden mir – wenn nötig – helfen. Und ich hatte den Eindruck, daß Ihre Worte ernstgemeint waren. Dieser Zeitpunkt ist eher eingetreten, als ich dachte. Ich befinde mich in einer schrecklichen Situation und weiß nicht, an wen ich mich wenden soll. Ich fürchte, man hat versucht, meinen Vater zu ermorden. Gottlob ist er noch am Leben, wenn auch bewußtlos. Die Polizei wurde verständigt, ebenso die Ärzte. Doch habe ich niemanden, auf den ich mich verlassen kann. Kommen Sie sofort, wenn es Ihnen möglich ist. Und verzeihen Sie mir im voraus. Vermutlich wird mir erst später klar, was ich da von Ihnen verlange. Im Augenblick aber kann ich keinen Gedanken fassen. Kommen Sie! Kommen Sie sofort.«
    Murgarvi Trelawny
     
    Während des Lesens kämpften Schmerz und Triumph in mir. Doch der Gedanke herrschte vor, daß sie in einer mißlichen Lage war und mich gerufen hatte – mich! Ich hatte also nicht gänzlich grundlos von ihr geträumt. Ich rief dem Burschen zu:
    »Warte! In einer Minute bin ich fertig!« Damit flog ich die Treppen hinauf.
    Nach wenigen Minuten war ich gewaschen und angekleidet und wir fuhren durch die Straßen, so schnell die Pferde es schafften. Es war Markttag, und als wir Piccadilly erreichten, ergoß sich von Westen her ein endloser Strom von Karren in die Stadt. Der Rest der Strecke jedoch war frei, und wir kamen rasch voran. Ich hatte den Burschen aufgefordert, er möge sich neben mich ins Wageninnere setzen, damit er mir unterwegs berichten konnte, was vorgefallen wäre. Verlegen saß er da, die Mütze auf den Knien haltend, während er mir erzählte.
    »Sir, Miß Trelawny schickte jemanden herunter, der uns sagte, wir sollten sofort einen Wagen bereitmachen. Dann kam sie selbst herunter, gab mir den Brief und trug Morgan, dem Kutscher, auf, er solle ans Ziel fliegen. Mir sagte sie, ich solle keine Sekunde säumen und anklopfen, bis jemand käme.«
    »Ja, das weiß ich – das hast du bereits gesagt! Ich möchte wissen, warum sie nach mir schicken ließ. Was ist im Haus vorgefallen?«
    »Das weiß ich selbst nicht genau, Sir. Nur so viel – der Herr wurde in seinem Zimmer bewußtlos aufgefunden, die Laken waren blutig, und er hatte eine Kopfwunde. Bis jetzt ist er nicht zu sich gekommen. Miß Trelawny selbst war’s, die ihn so fand.«
    »Wie kommt es, daß sie ihn um diese Zeit finden konnte? Ich nehme an, es war nachts?«
    »Weiß nicht, Sir. Was da eigentlich los war, hab’ ich nicht erfahren können.«
    Da er mir keine weitere Auskunft geben konnte, ließ ich den Wagen kurz anhalten, damit er nach vorne auf den Kutschbock kletterte. Allein saß ich nun da und überlegte. Es gab vieles, was ich den Bedienten hätte fragen können. Kaum war er fort, war ich wütend, daß ich die Gelegenheit nicht genutzt hatte. Dann aber war ich doch froh, daß die Versuchung nicht mehr vorhanden war. Mein Gefühl sagte mir, daß es taktvoller wäre, wenn ich von Miß Trelawny persönlich alles erfuhr und nicht von ihrem Personal.
    Wir fuhren in unserem eleganten Wagen mit hohlem Gepolter die Knightsbridge entlang. Nachdem wir in die Kensington Palace Road eingebogen waren, hielten wir schließlich vor einem großen Haus auf der linken Seite, soweit ich beurteilen konnte näher Notting Hill zu als Kensington. Ein wahrhaft schönes Haus war es, nicht nur was die Größe, sondern was die Bauweise anlangte. Sogar im trüben Morgenlicht, das alles kleiner
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