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Die seltsame Welt des Mr. Jones

Die seltsame Welt des Mr. Jones

Titel: Die seltsame Welt des Mr. Jones
Autoren: Philip K. Dick
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Mißbildungen gilt das nicht. Nur für Menschen.«
     Der dicke Mann bekam ein rotes Gesicht und erwiderte ernsthaft: »Mister, vielleicht halten die uns für Mißbildungen. Wer entscheidet, was ein Monstrum ist?«
     »So etwas sehe ich«, sagte der andere angewidert. Er starrte Cussick und den dicken Mann verächtlich an. »Was seid ihr eigentlich?« fuhr er sie an. »Monstren-Anbeter?«
     Der dicke Mann verschluckte sich und wollte protestieren, aber seine Frau packte ihn beim Arm und zerrte ihn davon, in die Menge, zu den nächsten Schaustellungen. Immer noch schimpfend, verschwand er. Cussick stand dem ehemaligen Kriegsteilnehmer allein gegenüber.
     »Trottel«, sagte dieser. »Das widerspricht doch dem gesunden Menschenverstand. Man sieht, daß das Monstren sind. Deshalb sind sie ja hier!«
     »Er hat aber recht«, sagte Cussick. »Das Gesetz gibt jedem das Recht, so zu leben, wie es ihm gefällt. Der Relativismus sagt – «
     »Dann zum Teufel mit dem Relativismus. Haben wir im Krieg gekämpft und die Atheisten und Roten besiegt, damit jeder aussehen kann, wie er mag? Daß er jeden Käse glauben darf?«
     »Keiner hat einen anderen besiegt«, sagte Cussick. »Niemand hat den Krieg gewonnen.«
     Eine kleine Anzahl von Menschen war stehengeblieben, um zuzuhören. Der ehemalige Soldat bemerkte sie; schlagartig verengten sich seine kalten Augen. Er gab einen Brummlaut von sich, warf Cussick noch einen feindseligen Blick zu und verschwand in der Menge. Enttäuscht gingen die Leute weiter.
    Die nächste Kuriosität war ein Wesen, das teils Mensch, teils Tier war. Irgendwo, irgendwann war es zwischen den Gattungen zu Paarungen gekommen; die Einzelheiten vorloren sich in dem Wirrwarr des Krieges. Cussick versuchte zu bestimmen, welche Erzeuger damals mitgewirkt hatten. Einer war mit Gewißheit ein Pferd gewesen. Dieses Monstrum war nach aller Wahrscheinlich keit eine Fälschung, künstlich transplantiert, aber äußerlich überzeugend.
     Es gab vielköpfige Säuglinge, eine häufige Erscheinung. Er kam an der üblichen Darbietung von Schmarotzern vorbei, die von ihren Wirten lebten. Gefiederte, schuppige, geschwänzte, geflügelte humanoide Monstren kreischten und flatterten auf allen Seiten. Wesen ohne Augen, ohne Gesicht, sogar ohne Köpfe; Wesen mit vergrößerten, verlängerten und vielfachgelenkigen Gliedern; traurig blickende Wesen, die aus anderen Wesen heraussahen. Ein groteskes Panorama mißgeformter Organismen; Lebewesen, aus denen keine Nachkommenschaft hervorgehen würde; Ungeheuer, die überlebten, indem sie ihre monströsen Eigenschaften zeigten.
     Auf dem Hauptplatz begannen die Schausteller mit ihren Vorführungen. Hier gab es keine bloßen Kuriositäten, sondern hier sah man echte Artisten mit Talent und Können. Sie stellten nicht sich, sondern ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten aus. Tänzer, Akrobaten, Jongleure, Feuerfresser, Ringer, Boxer, Dompteure, Clowns, Reiter, Taucher, Athleten, Zauberer, Wahrsager, hübsche Mädchen – Darbietungen, die es seit Jahrtausenden gegeben hatte. Nichts Neues; nur die Kuriositäten waren neu. Der Krieg hatte neue Ungeheuer, aber keine neuen Fähigkeiten gebracht.
     Das dachte er jedenfalls. Aber er hatte Jones noch nicht gesehen. Niemand hatte ihn gesehen; es war noch zu früh. Die Welt war mit dem Wiederaufbau beschäftigt; die Zeit war noch nicht reif.
     Auf der linken Seite leuchtete und blinkte das wilde Lichterspiel der Girl-Schau. Cussick ließ sich von der Menge dorthin treiben.
    Vier Mädchen lungerten müde und gelangweilt auf dem Podium herum. Eines manikürte sich die Fingernägel mit einer Schere; die anderen starrten leer auf die herandrängenden Männer hinunter. Sie waren natürlich nackt. Im blassen Sonnenschein leuchtete ihre Haut schwach, ölig, blaßrosa, flaumbedeckt. Der Ansager plapperte metallisch in sein Megaphon; seine verstärkte Stimme dröhnte laut über die Menge. Niemand achtete auf den Lärm; die Interessierten starrten nur zu den Mädchen hinauf. Hinter den Mädchen stand ein Bau aus Blechwänden, in dem die eigentliche Vorführung stattfand.
    »He«, sagte eines der Mädchen.
    Erstaunt bemerkte Cussick, daß er gemeint war.
    »Was ist?« fragte er nervös.
    »Wie spät ist es?« fragte das Mädchen. Hastig schaute Cussick auf die Armbanduhr.
    »Halb zwölf.«
    Das Mädchen trat aus der Reihe und an den Rand des Podiums.
    »Zigarette für mich?«
    Cussick kramte in seiner Tasche und hielt die Packung hoch.
     »Danke.«
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