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Die seltsame Welt des Mr. Jones

Die seltsame Welt des Mr. Jones

Titel: Die seltsame Welt des Mr. Jones
Autoren: Philip K. Dick
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Straßen zu sperren, als noch keine grauuniformierten Gestalten die Straßen durchstreift hatten. Das Splittern von Glas, das Knistern der Brände…
    »Was hat er damals gemacht?« fragte Rafferty. »Er war bei einem Jahrmarkt«, sagte Cussick.

    II

     Er hatte Jones im Alter von sechsundzwanzig Jahren kennengelernt. Im April 1995, genau am 4. April. An diesen Tag erinnerte er sich stets; die Frühlingsluft war kühl und voll vom Duft des neuen Werdens. Der Krieg war im Jahr vorher zu Ende gegangen.
    Vor ihm erstreckte sich ein langer, steiler Hang. Hier und dort standen Häuser, meist privat errichtete, provisorische und dünnwandige Schutzbauten. Primitive Straßen, Menschen aus der Arbeiterklasse, die herumwanderten… eine typisch ländliche Gegend, fern von Industriezentren, die überlebt hatte. Normalerweise hätte reges Treiben geherrscht: Pflüge, Schmieden und einfache Fabriken. Heute war es jedoch still. Die meisten gesunden Erwachsenen und alle Kinder waren zum Jahrmarkt gewandert.
     Der Boden unter seinen Schuhen war weich und feucht. Cussick schritt weit aus, weil auch er zum Jahrmarkt ging. Er hatte eine Stellung.
     Stellungen waren selten; er war froh, daß er sie bekommen hatte. Wie andere junge Männer, die Hoff’s Relativismus geistig aufgeschlossen gegenüberstanden, hatte er sich zum Staatsdienst gemeldet. Der Apparat der Bundesregierung – Bureg – bot die Chance, sich an der Aufgabe des Wiederaufbaus zu beteiligen; während er Gehalt bezog – in gültigem Silber ausbezahlt –, diente er der Menschheit.
    Damals war er ein Idealist gewesen.
     Man hatte ihn dem Innenministerium zugeteilt. Im AntipolZentrum von Baltimore war er politisch ausgebildet worden und hatte sich anschließend bei der Sipo beworben, dem Sicherheitsbüro. Die Aufgabe, extremistische politische und religiöse Meinungen zu unterdrücken, war 1995 als rein bürokratische Maßnahme erschienen. Niemand nahm sie ernst; seit der weltweiten Nahrungsmittelrationierung gab es keine Panik mehr. Jeder konnte seiner Grundversorgung sicher sein. Der Fanatismus der Kriegszeit war allmählich verschwunden, seit eine vernünftige Kontrolle wieder die Bedeutung wie vor der Inflation hatte.
     Vor ihm breitete sich der Jahrmarkt aus. Zehn metallene Gebäude mit grellen Neonlichtern waren die Hauptbauten. Eine breite Straße führte zum Mittelpunkt: einem Kegel, in dem man Sitze aufgestellt hatte. Dort würden die Hauptvorführungen stattfinden.
     Schon konnte er das erste, allgemein bekannte Schauspiel sehen. Cussick zwängte sich zwischen den dichtgedrängten Menschen hindurch. Der erregende Geruch nach Schweiß und Tabak stieg rings um ihn auf. Er schob sich an einer Gruppe schmutziger Feldarbeiter vorbei und erreichte das Gelände der ersten Kuriositätenschau. Er schaute hinauf.
    Der Krieg hatte durch die Verwendung gefährlicher Strahlungen und durch ausgefallene Seuchen zahllose Seltsamkeiten und Kuriositäten erzeugt. Hier, in diesem kleinen Jahrmarkt, war eine gewaltige Vielfalt versammelt.
     Direkt über ihm saß ein Multimensch, ein Gewirr von Fleisch und Organen. Hände, Arme, Beine wackelten durcheinander, das Wesen war schwachsinnig und hilflos. Zum Glück würden seine Nachkommen normal sein; die Multiorganismen waren keine echten Mutanten.
     »Mensch«, sagte ein dicker, langhaariger Bürger hinter ihm entsetzt. »Ist das nicht furchtbar?«
     Ein anderer Mann, der schlank und hochgewachsen war, meinte: »Im Krieg hab’ ich eine Menge davon gesehen. Eine Scheune voll haben wir angezündet.«
     Der dicke Mann blinzelte, biß in seinen kandierten Apfel und ließ den ehemaligen Soldaten stehen. Mit seiner Frau und drei Kindern stellte er sich neben Cussick.
    »Schrecklich, was?« murmelte er. »Alle diese Ungeheuer.«
    »Kann man sagen«, gab Cussick zu.
     »Ich weiß nicht, warum ich mir so etwas ansehe.« Der dicke Mann wies auf Frau und Kinder, die alle mit unbewegten Gesichtern Puffmais und Zuckerwatte aßen. »Sie kommen gern her. Die Frau und die Kinder haben was übrig dafür.«
     »Unter dem Relativismus müssen wir sie leben lassen«, sagte Cussick.
     »Klar«, meinte der dicke Mann und nickte nachdrücklich. An seiner Oberlippe hing ein Stückchen kandierter Apfel; er wischte es mit seiner sommersprossigen Hand ab. »Sie haben ihre Rechte, wie jeder andere auch. Wie Sie und ich, Mister – und ihr Leben haben sie auch.«
     Der hagere Veteran, der am Geländer stand, meldete sich zu Wort.
    »Für
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