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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin
Autoren: Celia Friedman
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nicht mehr. Es tut mir leid. Es ist eben so«, stieß die Hexe hervor. Jedes Wort versengte ihr die Kehle wie ein glühendes Messer. Konnte die Frau denn nicht begreifen, welchen Preis sie für eine solche Heilung bezahlen müsste?
    Wer gibt dir das Recht, mein Leben zu fordern?
    Bald würden die Zuckungen anfangen, schreckliche Krampfanfälle, bei denen der Kleine nach Wasser schreien, aber alles erbrechen würde, was man ihm einflößte. Dieser Zustand würde tagelang anhalten, wenn ihn die Angehörigen nicht von seinem Elend erlösten. Und das würden sie nicht tun. Sie würden beten und Opfer bringen, und sie würden die Götter anflehen, diesen Jungen doch bitte, bitte zu einem der wenigen zu machen, die stark genug waren, die Pest zu besiegen. Er würde also leiden, tagelang, unaufhörlich von Qualen geschüttelt, bis nur noch eine vertrocknete, längst von der menschlichen Seele verlassene Hülle übrig wäre, die unhörbar um die letzte Gnade flehte.
    Und andere würden folgen. Früher oder später das ganze Dorf. Wenn sich die Krankheit weit genug ausbreitete, erfasste sie vielleicht sogar Gansang. Wo sich die Grüne Pest einmal eingenistet hatte, gab es nur wenig, was sie aufhalten konnte.
    Der Kleine befand sich noch im Frühstadium. Wenn sie ihn heilte, solange er noch niemanden angesteckt hatte, bliebe das Dorf verschont.
    Imnea wandte sich ab und schürte das Feuer. Das letzte Scheit wollte nicht anbrennen. Die Glut drohte zu erkalten.
    »Bitte«, flüsterte die Mutter.
    Kein Bestechungsversuch. Keine Drohung. Kein Versprechen. Dagegen hätte Imnea sich wehren können. Stattdessen diese schlichte, von Herzen kommende Bitte, die nichts von alledem war und doch alles in sich vereinigte. Ihr Gewissen stach wie mit tausend glühenden Nadeln.
    Ich sollte ihr ein Messer geben und sie auffordern, ein Ende zu machen. Es wäre das Beste für den Jungen. Wenn sie ihn tötet, ohne mit den Körperflüssigkeiten in Berührung zu kommen, wird sich die Seuche vielleicht nicht ausbreiten.
    Mit einem Seufzer drehte sie sich wieder um. Die beiden Dörfler hatten zumindest Anspruch darauf, dass sie ihnen ins Gesicht schaute, wenn sie ihre Hoffnungen zerstörte. Doch diesmal begegnete sie nicht dem Blick der Frau, sondern dem des Mädchens. Was für unglaublich klare Augen, trotz der dunklen Schatten von der Form schwarzer Halbmonde, die Hunger und Not daruntergelegt hatten. Die Iris grün und mit Gold gesprenkelt wie mit Feenstaub. Was ihren Blick so zwingend machte, war allerdings weder ihre Farbe noch ihre Klarheit, sondern etwas anderes, Unerklärbares … etwas, das in diesem schummrigen Raum jedoch ebenso fehl am Platz schien wie ein funkelnder Stern.
    Ein Blick von solcher Tiefe – ungewöhnlich für ein so junges Ding. Imnea überlegte, ob sie wohl die Gabe hätte … aber nur einen Moment. Sie hatte keine Zeit, um sich mit der Gabe zu beschäftigen, und schon gar nicht, um die Anlagen eines Kükens zu beurteilen, das wahrscheinlich lange, bevor es einen passenden Lehrer gefunden hätte, in der Gosse von Gansang an Hunger und Kälte krepieren würde.
    Vielleicht war es dieser Gedanke, der an ihrem Herzen riss wie an einer Harfensaite. Vielleicht war es die Erinnerung an ihre eigenen Schüler, an die Kinder, die sie geboren hatte, und an all die Menschen, die sich in ihrem fünfunddreißigjährigen Leben an sie gewandt hatten, um Heilung, Rat oder einfach Trost zu erbitten. Vielleicht hatte es mit ihrer Gabe zu tun, dass sie jetzt ihre Stimmen hörte, Stimmen, die sie anflehten, dieser Frau zu helfen … aber vielleicht spielte ihr auch nur der Tod einen Streich. Vielleicht wollte er sie zur Eile drängen, um nicht zu spät zu seiner Verabredung mit der nächsten Hexe auf seiner Liste zu kommen.
    Fahr doch zur Hölle , dachte sie. Mein Leben kannst du haben, darüber kann ich verfügen, aber diesen Jungen bekommst du nicht. Noch nicht.
    »Gib ihn mir«, sagte sie mit einer Stimme so kalt und hart wie das Eis des Winters.
    Das Bündel wurde ihr wortlos in die Arme gelegt. Sie spürte, dass es viel zu leicht war, es bestand hauptsächlich aus Stoffschichten. Das Kind war ohnehin nicht groß gewesen, und der erste Ansturm der Pest hatte ihm wohl noch das letzte Fleisch von den Knochen gezogen. Ihre eigenen Knochen protestierten, als sie den kleinen Körper zurechtrückte. Armes Kind, armes Kind, wenn du überlebst, kannst du wenigstens die anderen Kranken pflegen. Ein kleiner Trost.
    Sie schloss kurz die Augen. Ruhe
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