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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin
Autoren: Celia Friedman
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Jahrzehnte lang ihre eigene Lebensenergie verbraucht hatte, um solche Wunder zu wirken. Auch wenn ihr jetzt gerade deshalb der Tod im Nacken saß. In diesem letzten Jahr hatte sie alle Bittsteller abgewiesen, und nur das zählte.
    Die menschliche Natur.
    Sie beugte sich tief über das Feuer und verdrängte die Frage, die sich alle Hexer und Hexen am Ende stellten. War es das wert? Dieses Zwiegespräch mit sich selbst barg zu viele Gefahren. Beantwortete man die Frage mit Nein, dann verdarb man sich die letzten Tage mit Reue und Bedauern. Lautete die Antwort Ja, dann war man ganz allein schuld an seinem Tod.
    Ein Klopfen riss sie jäh aus ihren Gedanken. Wer in aller Welt suchte sie auf in diesen letzten Tagen, obwohl sie doch vom ganzen Dorf wie eine Aussätzige gemieden wurde?
    Sie erhob sich und öffnete die schwere Eichentür. Draußen standen zwei Gestalten im trüben Licht des Wintertages. Sie brauchte nicht zu fragen, was sie wollten. Die eine hielt ein kleines Bündel in den Armen, der Größe und der Form nach ein Kind, in ein Tuch gehüllt. Imnea spürte, wie Empörung und Schuldbewusstsein ihr Herz durchbohrten wie ein sengender Pfeil.
    Reicht es denn nicht, euch auf dem Marktplatz, im Tempel und auf offener Straße abzuweisen? Müsst ihr mit euren Kranken bis vor meine Tür kommen, um euch fortschicken zu lassen?
    Am liebsten hätte sie den Bittstellern die Tür vor der Nase zugeschlagen, aber alte Gewohnheiten waren zäh, und sie war ihr Leben lang gastfreundlich gewesen. Murrend trat sie beiseite und ließ die beiden eintreten. Im schwachen Schein des Herdfeuers betrachtete sie sie genauer: eine hoch gewachsene hagere Frau von bäuerlichem Schlag, die sicherlich schon bessere Tage gesehen hatte, und ein junges Mädchen, das kaum weniger heruntergekommen aussah. Eine von der Sorte, die man heilte und nach Hause schickte, obwohl man wusste, dass sie dem Tod geweiht waren und vielleicht schon im nächsten Jahr am Hunger, an Misshandlungen oder an einer der anderen tausend Ursachen sterben würden, gegen die man mit keiner Hexenkunst etwas ausrichten konnte. Das Mädchen hatte einen harten Zug um den Mund, als hätte es bereits die verwesende Rückseite der Welt gesehen und sich an ihren Gestank gewöhnt; erschreckend bei einem so jungen Menschen. Die Frau wirkte lediglich … verzweifelt.
    »Mutter«, begann sie ehrerbietig, »verzeih, wenn wir dich stören …«
    »Ich heile nicht mehr«, sagte Imnea kurz. »Ihr könnt eine Tasse Tee bekommen, um euch aufzuwärmen, bevor ihr wieder geht, und vielleicht findet sich auch noch ein Stück Brot. Aber mehr habt ihr nicht zu erwarten.«
    Sie rechnete damit, dass die Frau zu feilschen anfangen würde, und hatte sich darauf vorbereitet. Die Götter wussten, dass sie solche Szenen schon hundert Mal erlebt hatte. Doch die Frau sagte nichts, sie schlug nur kurz eine Ecke des Tuchs zurück, in das sie ihr Kind gewickelt hatte. Die leuchtend grünen Pusteln auf dem fieberheißen Gesichtchen sprachen Bände.
    Die Grüne Pest. Imnea war ihr erst einmal begegnet, vor vielen Jahren. Nachdem sie ein halbes Dorf dahingerafft hatte. Damals hatten sich alle Hexen und Hexer zusammengetan – ein Ereignis so selten wie der Rote Mond, der ihre Bemühungen von oben verfolgt hatte –, um die Seuche nicht nur aus einem Haufen Leichen, sondern aus dem ganzen Dorf auszubrennen. Irgendwann in grauer Vorzeit war die Grüne Pest angeblich über das ganze Land gefegt und hatte zwei Drittel der Bevölkerung getötet. Dazu war es in diesem Fall nicht gekommen. Vielleicht war es den Hexen und Hexern gelungen, die Seuche aufzuhalten. Vielleicht fanden die Götter, als sie sahen, wie viele Angehörige des Hexenvolks Jahre ihres eigenen Lebens opferten, um ihre Mitmenschen zu heilen, es sei an der Zeit, ein einziges Mal Gnade walten zu lassen. Oder der Tod war so sehr mit all den Angeboten beschäftigt, die ihm die Hexen und Hexer in jener Nacht machten, dass er darüber vergaß, die Krampfseuche weiter zu verbreiten.
    Imnea brauchte den Jungen nicht zu berühren, um zu wissen, dass er Fieber hatte. Sie brauchte auch nicht in die Zukunft zu schauen, um zu sehen, welches Leid ihn erwartete, wenn der Seuche nicht Einhalt geboten würde. Es war ein grausamer Tod.
    »Ich heile nicht mehr.« Es klang nicht wirklich überzeugend. Verdammt, warum mussten sie das Kind auch hierher bringen, in ihr Haus?
    »Du hast die Gabe. Die Leute sagen, du hättest diese Krankheit schon geheilt.«
    »Aber jetzt
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