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Die Seelenjägerin

Die Seelenjägerin

Titel: Die Seelenjägerin
Autoren: Celia Friedman
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die Krankheit hast, dann gibt es leider niemanden mehr, den du um den gleichen Gefallen bitten könntest, sobald die ersten Anzeichen sichtbar werden …
    Sie wollte aufstehen, um die Besucher zur Tür zu begleiten. Die Pflichten der Gastfreundschaft. Aber ihre Beine versagten ihr den Dienst, und ihr Herz … ihr Herz quälte sich so unsicher und stockend von Schlag zu Schlag, als hätte der Trommler, der ihm fünfunddreißig Jahre lang den Takt vorgegeben hatte, unvermittelt die Schlegel aus der Hand gelegt.
    Sie fror. Es war so kalt.
    »Mutter?«
    Die Augen der Tochter ruhten auf ihr. Ein tiefer, hungriger, unerschütterlich entschlossener Blick, der das Wissen aufsog, als wäre es Brennstoff für ihre Seele. Da siehst du, Kind, wozu die Gabe fähig ist und was dich erwartet, wenn du sie einsetzt. Kein Staunen war in diesem Blick, auch keine Angst … nur diese Gier.
    Vergiss diese Lektion niemals, mein Kind. Denke daran, wenn die Gabe dir winkt. Nun kennst du ihren Preis.
    »Komm, Kind.« Die Stimme der Mutter war kaum zu vernehmen. Imneas Gehör wurde schwächer, die Welt verlor an Substanz, zerfiel in Geraune, Windesrauschen und Schatten. »Wir müssen gehen.«
    Bist du bereit? , flüsterte der Tod.
    Noch einmal klammerte sich Imnea an das Leben. Einen einzigen Moment lang wollte sie noch die Träume auskosten, von denen sie sich hatte leiten lassen … und denen nachtrauern, die unerfüllt geblieben waren.
    Dann flüsterte sie: Ja. Die Stimme ohne Klang. Ja, ich bin bereit.
    Im Herd knisterten die letzten Fünkchen, dann erlosch die Glut. Dunkelheit senkte sich über den Raum.

Der Anfang

Kapitel 1
    Wenn auf dem Königsplatz Markt gehalten wurde, herrschte immer viel Betrieb, doch an diesem Tag war das Gedränge derart groß, dass man kaum von einem Ende des Platzes zum anderen gelangen konnte, ohne von den Massen schier erdrückt zu werden. Die einen behaupteten, das läge am schönen Wetter, kaum ein Wölkchen am Himmel, ein herrlicher Frühlingstag, der förmlich dazu einlüde, den Ernst des Winters abzulegen und von diesem oder jenem sommerlichen Schlemmermahl zu träumen, während man das Obst betastete und die Hühner befühlte. Andere führten den Zustrom darauf zurück, dass die Ernte im letzten Jahr so reich ausgefallen war, deshalb hätten die Bauern viel zu verkaufen und ihre Frauen hätten Geld in den Taschen, um fremdländische Leckereien zu erstehen.
    Manche nannten auch ganz andere Gründe.
    Der Fremde stand lange am Rand der Menge und beobachtete sie mit geschultem Blick. Er war größer als die meisten Einheimischen, ein hagerer Mann mit pechschwarzem, schulterlangem Haar und ebenso schwarzen Augen. Seine adlerhaft scharfen Züge und der olivfarbene Teint kündeten von fremden Gestaden und buntgemischter Herkunft. Etliche Frauen drehten sich nach ihm um, als er sich endlich ins Gewühl stürzte, und das war auch nicht verwunderlich. Mit seiner hohen, schlanken Gestalt und den geschmeidigen Bewegungen hatte er die Frauen von jeher angezogen.
    Er trug ein schlichtes schwarzes Hemd und schwarze Kniehosen und sah aus wie ein Bauer im Sonntagsstaat oder wie ein Adeliger, der genug davon hatte, sich nur seines Ranges wegen unter überflüssigen Kleidungsschichten zu vergraben. Doch ein rascher Blick auf seine – peinlich sauberen – Fingernägel, und die ›Bauern‹-Theorie war widerlegt. Eine Näherin mochte feststellen, dass das Hemd aus ungewöhnlich feinem Stoff gemacht war, aber selbst dafür bedurfte es eines kundigen Auges, und der Schnitt seiner Garderobe war nicht elegant genug, um übertriebene Aufmerksamkeit zu erregen.
    Auch Bauern trugen bisweilen Schwarz.
    Es gab Stimmen, wonach sich die vielen Menschen nicht auf dem Königsplatz zusammengefunden hätten, um den neuesten Klatsch zu hören, ihrer Arbeit nachzugehen oder auf dem Markt ganz banal ihre Einkäufe zu erledigen, sondern einfach, um dabei zu sein. Denn heute, so wurde getuschelt, sollte ein Magister aus Anchasa mit großem Gefolge im Palast eintreffen, und nur über den Königsplatz konnte das gemeine Volk nahe genug an die Haupttore herankommen, um Zeuge dieses Schauspiels zu werden.
    Anchasa. Wie viele von den hier versammelten Männern mochten in den großen Kriegen gegen das Reich im Süden gekämpft, wie viele von den Frauen mochten um den Vater, den Gatten, den Sohn getrauert haben, der dabei gefallen war? Zwar herrschte nun schon seit Jahren ein unsicherer Frieden, aber die beiden Völker waren sich noch immer nicht
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