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Die See des Schicksaals

Die See des Schicksaals

Titel: Die See des Schicksaals
Autoren: Michael Moorcock
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warum er nach dem einen Jahr nicht zurückgekehrt war.
    Er hatte nichts mehr zu essen und nur noch Reste der Mittel, die ihm seine Energie geschenkt hatten. Ohne sich wieder zu stärken, konnte er nicht auf eine Zauberei hoffen, die ihm die Überquerung des Meeres ermöglichte, vielleicht zur Insel der Purpurnen Städte mit ihren Bewohnern, die den Melniboneern am wenigsten feindlich gesonnen waren.
    Es war erst einen Monat her, daß er seinen Hof und seine künftige Königin verlassen hatte - und Yyrkoon als Regenten von Melnibone. Er hatte gehofft, er könne über die Menschen der Jungen Königreiche mehr erfahren, indem er sich unter sie mische, sie aber hatten ihn mit offenem Haß oder mit vorsichtiger und unaufrichtiger Ergebenheit zurückgestoßen. Noch hatte er keinen Menschen gefunden, der ihm glauben wollte, daß ein Melniboneer (sie wußten nicht, daß er der Herrscher war) sich bereitwillig unter die Menschen mengen würde, die einmal mit dieser grausamen und alten Rasse verfeindet gewesen waren. Während er nun an der düsteren See stand und sich eingekesselt und besiegt fühlte, glaubte er sich allein in einem bösartigen, feindlichen Universum, ohne Freunde und Ziel, ein nutzloser, kränkelnder Anachronismus, ein Dummkopf, durch seine eigenen Charakterschwächen zu Fall gebracht, durch seine tiefgreifende Unfähigkeit, an das Richtige oder Falsche einer Sache mit echter Überzeugung heranzugehen. Ihm fehlte das Vertrauen in seine Rasse, in das Recht seiner Geburt, in Götter oder Menschen - und vor allem fehlte ihm das Zutrauen zu sich selbst.
    Seine Schritte wurden langsamer; seine Hand fiel auf den Knauf des schwarzen Runenschwerts Sturmbringer, die Klinge, die erst vor kurzem ihren Zwilling Trauerklinge besiegt hatte, in der fleischartigen Höhle einer sonnenlosen Welt im Nirgendwo. Sturmbringer, das einen ganz eigenen Verstand zu besitzen schien, war im Augenblick sein einziger Gefährte, sein einziger Vertrauter, und es war zu einer Art neurotischer Angewohnheit geworden, mit dem Schwert zu reden, wie man zu seinem Pferd spricht, oder wie ein Gefangener sich an ein Insekt in seiner Zelle wenden mochte.
    »Nun, Sturmbringer, wollen wir ins Meer hinausschreiten, und der Sache ein für allemal ein Ende machen?« Seine Stimme war tonlos, kaum ein Flüstern. »Wenigstens haben wir damit das Vergnügen, unsere Verfolger hereinzulegen.«
    Er machte eine halbherzige Bewegung zum Meer hin, doch seinen erschöpften Sinnen vermittelte sich der Eindruck, als murmele das Schwert etwas, als rühre es sich an seiner Hüfte, als wollte es ihn zurückziehen. Der Albino lachte leise vor sich hin. »Dein Zweck ist es zu leben und Leben zu fordern. Besteht mein Lebenszweck darin, zu sterben und allen, die ich liebe und hasse, die Gnade des Todes zu bringen? Manchmal bin ich fast dieser Ansicht. Ein trauriges Bild, wenn es so sein sollte. Trotzdem kann das nicht alles sein...«
    Er wandte dem Meer den Rücken und blickte zu den riesigen Wolken empor, die sich über seinem Kopf formten und neu formten, ließ sich vom schwachen Nieselregen das Gesicht benetzen, und lauschte auf die komplizierte melancholische Musik des Meeres, das über Felsen und Strandkies wusch und von entgegengesetzten Strömungen hierhin und dorthin getragen wurde. Der Regen erfrischte ihn kaum. Zwei Nächte lang hatte er überhaupt nicht mehr geschlafen, und war auch davor kaum dazu gekommen, die Augen zuzumachen. Ehe sein Pferd zusammenbrach, war er fast eine Woche unterwegs gewesen.
    Am Fuße einer feuchten Granitspitze, die beinahe dreißig Fuß über seinen Kopf emporragte, fand er ein Loch im Boden, in das er sich hocken konnte: hier war er vor Wind und Regen wenigstens einigermaßen geschützt. Er wickelte den schweren Ledermantel enger um sich, zwängte sich in die Vertiefung und schlief sofort ein. Sollten sie ihn doch im Schlaf überraschen! Er wollte ohne Vorwarnung sterben.
    Als er wieder zu sich kam, stach ihm helles graues Licht in die Augen. Er hob den Kopf, unterdrückte ein Stöhnen ob der Steifheit seiner Muskeln und öffnete die Augen. Er blinzelte. Es war Vormittag - vielleicht sogar später, die Sonne war unsichtbar -, und kalter Nebel lag über dem Strand. Durch den Nebel waren durchaus noch die dunkleren Wolken zu erkennen, was den Eindruck verstärkte, daß er sich in einer riesigen Höhle befand. Ein wenig gedämpft, aber ungebrochen lief das Meer zischend und klatschend gegen die Küste, auch wenn es sich seit gestern abend
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