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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Autoren: Nora Iuga
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Direktor abends die Schule verließ, kam er unter dem Vorwand herein, sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung sei. Anna war erschrocken und nur mit einem Unterrock bekleidet vom Tisch aufgesprungen, einem Unterrock, den sie seit zehn Tagen nicht mehr gewechselt hatte, mit zerrissenem Träger, weil ich ihn immerzu trug, ich nahm ihn auch als Nachthemd. Bis heute weiß ich nicht, was mich damals tiefer beschämte, dass ich fast nackt war oder dass der Unterrock so abgerissenaussah. Ich merke, mein Schamgefühl ist stärker geworden, seit ich alt bin. Nicht weil mir mein Alter bewusst wäre oder weil ich etwa Angst hätte, lächerlich zu wirken, sondern weil mein Körper nicht mehr schön ist. Anna hatte den Einsatz erhöht, wollte die Reaktion des Mannes, erwartete, dass er ihr widersprach, und sie war bereit, ihm zu glauben.
    Der grüne Blick lag jetzt auf der Fotografie, die sie als Vierzigjährige zeigte, sie stand vergrößert und unter Glas auf dem Schreibtisch, an dem George vor drei Jahren gearbeitet hatte. Auf dem Foto lehnte sie an einer Säule der Stavropoleuskirche, ihr tiefer Ausschnitt reichte bis zur Stelle, an der die Brüste eng aneinandergepresst lagen, sie hatte schlanke Beine, der Stolz meiner Jugend, die in dem knapp über den Knien endenden Rock in ihrer ganzen Pracht zur Geltung kamen. Dieses Foto hatten wir am Abend vor unserer Ferienreise gemacht, wir fuhren nach 2. Mai. Was er bloß an diesem kleinen Karton findet, ich scheine in diesem Zimmer überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein. Der grüne Blick reißt sich nicht los von dieser verstohlenen Linie zwischen den Brüsten, was man davon in meinem Ausschnitt zu sehen bekam, ähnelte dem Geschlecht eines kleinen Mädchens. Nie habe ich Doktor Faust besser verstehen können als jetzt, da ich dem Teufel meine Seele verkaufen würde, um diese Fotografie zu übertrumpfen.
    Der Direktor, der weder alt noch hässlich war, wurde aggressiv. Ich hatte ihn zurückgewiesen, denn ich mochte keine Vorgesetzten, hatte weder Interesse daran, Klassenlehrerin der Siebten zu werden noch auf der Liste der besten Lehrer zu erscheinen, die er wöchentlich an das Kreisschulamtschickte. Damals habe ich der scheußlichsten sexuellen Szene meines Lebens zusehen müssen. Er versprach, mir nichts zu tun, mir auch nicht böse zu sein, wenn ich nur brav sitzen bliebe und ihn ansähe. Dann knöpfte er seine Hose auf, und ich sah das große rotbraune Glied wie einen Ochsenziemer in die Luft schlagen und in die eigene hohle Hand hinein, dort bewegte es sich, vor und zurück, er mühte sich ab wie ein Hund, schlug mit dem Bauch an den gekrümmten Arm, und bei jeder Bewegung erklang das Schmatzen von nasser Haut, ich hörte sein Grunzen und schwor mir, nie mehr zuzulassen, dass ein Vorgesetzter mir so nahe kam.
    Weißt du, was ich jetzt am schönsten fände, wenn ich so jung wäre wie du und wir zusammen in die Berge führen. Wenn wir von Buşteni hinauf zum Valea Jepilor gingen mit den Rucksäcken auf dem Rücken und nichts redeten, wenn wir dem Schweigen lauschten, wie in einem schlechten Roman. Du würdest vor mir gehen, ich würde auf den felsigen Abschnitten sicherer werden, sie gäben mir das Gefühl von Geborgenheit; das Gummi der Espadrilles scheint auf dem Stein besser zu haften. Der harte Felsen nimmt mir die Angst, er wirkt auf mich wie ein Universalheilmittel, er vertauscht mein Geschlecht, wie soll ich dir das erklären, er lässt mich allmächtig werden. Und darüber der Himmel wie ein riesiger emaillierter Bottich mit blauem Boden. Und dann wir beide allein in dieser Unendlichkeit auf dem Caraiman-Plateau, wo man alles tun kann, weil niemand einen sieht – diese vollkommene Freiheit, den Blicken der anderen zu entkommen … allen Blicken. Jedes Mal, wenn ich den Gedanken die Zügel schießen lasse, stelle ich sie mir als vom Windeverwehte Haare vor – es erschreckt mich, wie weit ich gehen kann, im Nacken spüre ich den Atem des unendlichen Tiers – eine Warnung, dieser Dämon entbehrt der Liebe Gottes. So lasse ich mich von Worten leiten wie ein Automobil ohne Lenkrad. Dann finde ich zu meiner Angst zurück und zu meinem alten Geschlecht, gelangweilt, matt und brav. Vertraue nicht zu sehr auf meine Verrücktheit, sie existiert nur auf dem Papier, wie das Heldentum, die Zersetzung, das Zucken der Nerven. Ich lüge wie gedruckt, in Wirklichkeit schwimme ich in Brustlage gehorsam einem Punkt entgegen, der mich lenkt.
    Die Kinder der Schule Nr. 1 mit
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