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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
Autoren: Nora Iuga
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Schriftstellern zu sehen bekommt. Anna war Schriftstellerin. Eine Schriftstellerin ni gaie, ni triste , das kommt mir in den Sinn, und das mag bei mir so viel heißen wie weder Fisch noch Fleisch. Eigentlich keine Schriftstellerin, sondern eine Dichterin, das ist wohl etwas ganz anderes, glaubst du nicht? Ein Prosaschriftsteller arbeitet mit System, nach einem Plan, schwer vorstellbar, dass ein Prosaautor anfängt, aus dem Nichts heraus einen Roman zu schreiben, ohne Idee, ohne vorherigen Entwurf, einfach so weil er Lust dazu hat. Schön, dir beizubringen, wie man Prosa schreibt, ich trage Eulen nach Athen. Romane schreibt man nicht einfach nur aus der Inspiration heraus, vermute ich, mehr noch, manche Bücher lassen mich glauben, dass es ihrer in der Prosa nicht einmal bedarf. Prosa kann man auch mit Intelligenz schreiben, die Lyrik braucht den Instinkt. Das Unterbewusstsein ist intelligenter als die Intelligenz. Ich bin überzeugt, der Instinkt liegt näher bei unseren alten Gewohnheiten, ich glaube an eine Art kollektives Erbe. Die Lyrik ist eine Art Urvermächtnis, das sich in uns weiter fortpflanzt. Sie ist die ewige Wiederkehr. Eine Art Unterschlupf des Instinktes. Sie hält uns bei unseren Ursprüngen. Ich ziehe jetzt einen gewagten Vergleich. Du siehst doch, dass alle Strömungen der Avantgarde, alle Experimente sich von dem losgesagt haben, was eigentlich Poesie ist, sie wenden sich sogar gegen sie. In der letzten Zeit führt der Verstand des Künstlers einen Kampf mit der Metaphysik, mit dem Kosmos, den Ursprüngen, den großen Mysterien, denen die Alten zeitlich und geistig gesehen näher waren. Die Lyrik gleicht immer mehr der Prosa. Merkst du, dass wir das Wesentliche verlieren. Und dass gegen diese Tendenz nichts getan werden kann. Es ist beunruhigend.
    Anna war also Dichterin, und wenn auch keine besondere, so doch eine im Reinzustand, ich schlage mich nicht darum, im Fernsehen aufzutreten, niemand hat mich im Ausland übersetzt, ich habe keinen Anrufbeantworter, auch keine Gegensprechanlage. Sag mal, ich werde dir doch unmöglich vorkommen, wenn du mich so mit meiner Armseligkeit Parade laufen siehst, als wären Mangel und Unbequemlichkeit die höchsten Tugenden? Und dennoch, zwar bin ich Dichterin – ich kann dir nicht verhehlen, dass ich mich dessen rühme und dass ich den Prosaautoren Unrecht tue, habe ich recht, du hast dich angesprochen gefühlt? –, aber ich muss zugeben, dass ich mich in Zeiten poetischer Durststrecken auch an der Prosa vergehe. Ich übertreibe, glaub ja nicht, ich schriebe Prosa, wie der Bär mangels Walderdbeeren Blätter frisst. Ich habe das Bedürfnis, Prosa zu schreiben, weil die Lyrik mit ihrem aristokratischen, unantastbaren Gestus es mir nicht erlaubt, mich so auszudrücken, wie die Prosa es tut. In mir gibt es auch den gewöhnlichen Menschen, nicht nur den Engel, sei er auch aus seinen metaphysischen Himmeln gestürzt. Es gibt in mir auch das Vulgäre, die Tratschtante, die über ihre Freundin herzieht und haarklein berichtet, wie sie mit ihrem Mann geschlafen hat. Die Lyriker der 90er-Generation tun das mit einer solchen Selbstverständlichkeit, ich bewundere sie, aber ich kann es eben nicht, sosehr ich es mir auch wünsche, meine Beine bis über den Kopf zu schwingen, in der Lyrik etwas anderes zu sein als eine »Dame«. Es ist lächerlich, dieses Geständnis beschreibt nur die Hälfte dessen, was Anna ausmacht, vielleicht nicht einmal das. Es scheint nur so, als sei sie unnahbar; sie gehört zu den Menschen, dienicht ihr ganzes Leben herausposaunen. Und das verstand sie immer als ein Zeichen von Vornehmheit. Ihr Intimleben ist den meisten unzugänglich geblieben, das ließ sie auch für ihre Bekannten eine Unbekannte bleiben. In dem vollen Bewusstsein, dass sie durchs Leben zieht wie ein gepanzerter Zug, der wer weiß was transportiert, entschied sich Anna schließlich dafür, zu erzählen, dieses Mal wollte sie gnadenlos sein, denn die Prosa ist geduldig. Wie liebe ich es, über die Ränder einer Bemerkung hinaus auszuschweifen, die tatsächlich ausgesprochen wurde, nicht in Büchern gelesen, gleich empfinde ich ein unbändiges Glück, als erfände ich die Welt neu. Ich weiß nicht, wohin all diese kompromittierenden Bekenntnisse führen, ich habe dir gesagt, dass ich ein Kitschprodukt bin, jetzt wirst du mich für eine Viertelgebildete halten.
    Der grüne Blick kehrt für einen Moment zu ihren Augen zurück, ist leicht verunsichert, entfernt sich dann wieder,
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