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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman
Autoren: Claire Winter
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Menschen, bevor sie sich wieder Irene zuwandte.
    »Es ist wirklich seltsam – nicht nur, dass dieses Paket anonym ist, die Liebesbriefe sind es im Grunde auch. Dieser Mann unterschreibt nie mit seinem Namen und redet auch die Frau nie so an – obwohl sie später seine Geliebte war!«
    Irene blickte sie neugierig an. »Wie aufregend! Meinst du, er hat ihren Namen nicht gekannt, oder hatte er Angst, jemand könnte seine Briefe lesen?«
    Melinda zuckte die Achseln. »Vermutlich Letzteres. Seine Zeilen wimmeln nur so von nebulösen Andeutungen! Ich denke, es hatte etwas mit seinem sozialen Stand zu tun. Er schreibt an einer Stelle, dass er versucht hätte, ›dem Leben zu entfliehen, zu dem ihn seine Geburt verdammt hätte‹.«
    »Wirklich?« Irene wirkte fasziniert. »Das würde heißen, er stammte aus einer bedeutenden Familie, oder?«
    Die Bedienung brachte ihnen den Kaffee, und für einen Augenblick widmeten sich die beiden Frauen dem wohltuend warmen Getränk und tranken einige Schlucke.
    Melindas Finger umspannten die Tasse. »Was mich am meisten verwirrt – obwohl die Briefe in Englisch verfasst sind und die Landschaft und das Herrenhaus auch so aussehen, ist das Paket nicht aus England gekommen. Es wurde nicht mal mit der Post geschickt, sondern durch einen Boten gebracht.«
    Irene zog ihre gezupften Brauen hoch. »Vielleicht meldet sich der anonyme Absender ja doch noch«, sagte sie dann. Sie zog nachdenklich ein Etui aus ihrer Handtasche und klappte es auf. »Bestimmt gibt es einen Grund, dass du dieses Paket bekommen hast … Meinst du, es könnte mit deiner Mutter zusammenhängen? Sie war doch Engländerin!«
    Melinda schüttelte den Kopf. »Den Gedanken hatte ich auch zuerst, doch meine Mutter hat in England keine Familie mehr gehabt. Aber vielleicht gibt es ja irgendeinen Zusammenhang, den ich nicht kenne.« Sie zögerte, bevor sie Irene mit einem nachdenklichen Ausdruck in ihren grünen Augen anblickte. »Weißt du, mich hat lange etwas nicht mehr so beschäftigt.« Es war die Wahrheit. Es kam Melinda vor, als hätte ihr jemand ein fremdes Stück Leben zugeschickt – wie ein Nachlass oder ein Vermächtnis, dessen Geheimnis sie unbedingt entschlüsseln wollte.
    Irene bot ihr eine Zigarette an. »Willst du?«, fragte sie.
    Melinda schüttelte den Kopf. »Wie bist du denn an die gekommen?«
    »Ich habe eine von Richards Uhren eingetauscht«, erklärte Irene lapidar und zündete sich selbst eine Zigarette an.
    »Hast du etwas von ihm gehört?«, erkundigte sich Melinda. Irenes Mann Richard hatte einen leitenden Posten bei einem deutschen Pharma- und Chemieunternehmen gehabt und befand sich seit etlichen Monaten in einem Internierungslager der Alliierten. Er war Mitglied in der NSDAP gewesen, inwieweit das jedoch wirklich seine eigene Gesinnung gewesen war, hatte Melinda nie einschätzen können. Sie vermutete, dass selbst Irene es nicht wusste.
    »Nein, aber ich habe gehört, dass die Amerikaner darauf drängen, die gesamten Verfahren der Häftlinge zu beschleunigen, und ich hoffe, dass Richard dann auch bald wieder freikommt«, sagte Irene. Sie zog an ihrer Zigarette.
    Einen Moment lang schwiegen die beiden Frauen, bevor sie sich anderen Gesprächsthemen zuwandten. Melinda erzählte von Franks unerfreulichem Besuch und von der Reportage, die sie für Scholz schreiben sollte.
    Schließlich brachen sie auf. Irene bestand darauf zu bezahlen. »Bitte. Ich habe ein gutes Geschäft mit der Uhr gemacht, und Richard hat noch eine ganze Sammlung davon«, sagte sie mit einem ironischen Lächeln.
    »Na gut. Aber das nächste Mal bin ich dran!«, wandte Melinda ein und gab ihr ihre Lebensmittelmarke, die man zusätzlich in jedem Restaurant und Café zur Bezahlung abgeben musste.
    Als sie wenig später zwischen den Häuserruinen wieder den Kurfürstendamm erreichten, schnitt ihnen der kalte Wind ins Gesicht. Die beiden Freundinnen umarmten sich, und Melinda versprach Irene, sie nächste Woche draußen in Kladow zu besuchen.
    5
     
    London, Januar 1948
    E r war froh, wieder in England zu sein. Der Flug von Berlin war unruhig gewesen, aber zumindest war es in London nicht so kalt. Nachdenklich saß George Clifford in dem Taxi, das ihn zur Waterloo Station brachte, wo er den Zug Richtung Exeter nehmen wollte, und blickte nach draußen. Auch London war im Krieg schwer beschädigt worden, und die Stadt trug noch immer die Spuren der Bombenangriffe. Zehntausende von Häusern und Gebäuden waren zerstört und
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