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Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag

Titel: Die Furcht des Weisen / Band 2: Die Königsmörder-Chronik. Zweiter Tag
Autoren: Patrick Rothfuss
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Egoisten und Halsabschneider
     
    N ach vierzehn Stunden Schlaf war ich wieder munter wie ein Fisch im Wasser. Meine Gefährten staunten nicht schlecht. Schließlich hatten sie mich bewusstlos aufgefunden. Ich war völlig kalt gewesen und über und über mit Blut verschmiert. Sie hatten mich ausgezogen, mir Arme und Beine massiert und mich in Decken gewickelt und in das einzige noch vorhandene Zelt der Banditen gebracht. Die anderen fünf waren entweder verbrannt oder unter Ästen begraben worden, als ein gewaltiger, grellweißer Blitz die Eiche, die in der Mitte des Lagers stand, gespalten hatte.
    Am folgenden Tag war es bewölkt, aber zum Glück regnete es nicht. Zuerst versorgten wir unsere Wunden. Hespe war von einem Pfeil ins Bein getroffen worden, als sie zusammen mit Dedan von dem Wachposten überrascht worden war. Dedan hatte eine tiefe Schnittwunde auf der Schulter und konnte noch von Glück sagen, denn er hatte den Posten praktisch mit bloßen Händen angegriffen. Auf meine Fragen sagte er nur, er habe keine Zeit gehabt, sein Schwert zu ziehen.
    Marten hatte über einer Augenbraue eine tiefrote Beule, vielleicht von meinem Fußtritt oder weil ich ihn über den Boden geschleift hatte. Sie schmerzte, wenn man sie berührte, doch er meinte, er habe sich bei Wirtshausschlägereien schon oft Schlimmeres eingehandelt.
    Mir ging es, nachdem ich mich vom Binderfrost erholt hatte, wieder gut. Meine Gefährten waren wie gesagt über die plötzliche Genesung des Todgeweihten sichtlich überrascht und ich entschied mich, sie nicht aufzuklären. Ein kleines Geheimnis konnte meinem Ruf nicht schaden.
    Ich verband die Wunde auf meiner Schulter, an der mich der Pfeil gestreift hatte, und versorgte einige Prellungen und Kratzer, an deren Ursache ich mich nicht erinnern konnte. Der lange Schnitt im Arm, den ich mir selber zugefügt hatte, ging nicht tief, ich brauchte ihn deshalb nicht zu nähen.
    Tempi war unverletzt. Sein Gesicht ließ wie immer keine Regung erkennen.
    Unsere zweite Aufgabe bestand darin, uns um die Toten zu kümmern. Während ich bewusstlos gewesen war, hatten die anderen die verbrannten Leichen am Rand der Lichtung zusammengetragen. Zu den Toten gehörten:
    Der Wachposten, den Dedan getötet hatte.
    Die beiden Posten, die Tempi im Wald überrascht hatten.
    Drei Banditen, die den Einschlag des Blitzes überlebt und zu fliehen versucht hatten. Marten hatte einen von ihnen getötet, Tempi die anderen beiden.
    Siebzehn Banditen, die durch den Blitz erschlagen, verbrannt oder sonstwie zu Tode gekommen waren. Acht davon waren schon vorher tot oder tödlich verwundet gewesen.
    Wir fanden Fußspuren eines weiteren Postens, der den Kampf vom nordöstlichen Abschnitt der Anhöhe beobachtet hatte. Sie waren allerdings schon einen Tag alt, und keiner von uns verspürte die geringste Lust, den Mann zu verfolgen. Dedan gab außerdem zu bedenken, er könnte uns lebend nützlicher sein, wenn er anderen, die ebenfalls ein Leben als Bandit in Betracht zogen, vom schrecklichen Ende seiner Kameraden berichtete. Darin stimmten wir ausnahmsweise einmal überein.
    Die Leiche des Anführers fanden wir nicht unter den Toten. Das große Zelt, in dem er verschwunden war, lag unter einem dicken Ast der gespaltenen Eiche begraben. Da wir genug anderes zu tun hatten, suchten wir nicht weiter nach seinen Überresten.
    Statt dreiundzwanzig Gräber oder ein Massengrab für dreiundzwanzig Leichen auszuheben, errichteten wir einen Scheiterhaufen und zündeten ihn an, solange der Wald noch vom Regen nass war. Ich sorgte mit meiner Magie dafür, dass das Feuer lichterloh brannte.
    Es gab allerdings noch eine Leiche: den Posten, den Marten erschossenund den ich für meine Zwecke benützt hatte. Während meine Gefährten eifrig Holz für den Scheiterhaufen sammelten, ging ich über die Südseite des Hügelkamms zurück und fand auch bald die Stelle, an der Tempi ihn versteckt und mit Zweigen zugedeckt hatte.
    Ich betrachtete die Leiche lange und trug sie dann weiter nach Süden. Unter einer Weide fand ich einen geeigneten ruhigen Platz. Darüber errichtete ich einen Haufen aus Steinen. Nach all dem kroch ich ins Gebüsch und übergab mich leise, aber heftig.

     
    Der Blitz? Das ist schwer zu erklären. Ein Gewitter über uns. Eine Art galvanischer Bindung mit Hilfe zweier einander ähnlicher Pfeile. Der Versuch, den Baum stärker zu erden als einen Blitzableiter. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich mir Ort und Zeit des Einschlags als
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