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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman
Autoren: Claire Winter
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zu ihm.
    »Wenn Melinda Leewald nun doch nicht die Wahrheit erfahren wird, warum sollte sie dieses Paket dann überhaupt bekommen?«
    Ihre knochigen Hände, unter deren Haut deutlich die Adern hervortraten, umklammerten die Bettdecke. »Er hätte es so gewollt. Es war das Einzige, was ihm noch etwas bedeutet hat.« Ein gequälter Ausdruck zeigte sich auf dem Gesicht der alten Frau. Es war offensichtlich, dass sie von Schuldgefühlen gequält wurde. Clifford ahnte, dass man Emily Barrington unter Druck gesetzt hatte. Sie hatte ihm nie erzählt, was damals wirklich geschehen war, doch das wenige, was er wusste, ließ ihn seine eigenen Vermutungen anstellen.
    Er war dem Bruder von Lady Barrington, dem alten Mr Hampton, nur einmal selbst begegnet. Als kleiner Junge hatte sein Vater ihn einmal zu ihm mitgenommen. In seinen letzten Lebensjahren hatte sich Mr Hampton mehr in Sherwood als hier auf seinem Landsitz aufgehalten, als hätte er die Nähe der Toten gesucht. Clifford erinnerte sich noch wie heute an sein wächsernes Gesicht. Seine wässrig blauen Augen waren leer und bar jeden Ausdrucks gewesen – als würde man in das Gesicht eines Toten blicken. Der Teufel hätte seine Seele schon zu Lebzeiten geholt. Ein Mörder sei er , behaupteten die Leute im Dorf hinter vorgehaltener Hand, und noch oft hatte der Blick dieser toten Augen ihn später im Schlaf verfolgt.
    »Sie haben diese Entscheidung nicht aus freiem Willen getroffen, nicht wahr?«, fragte er die alte Dame schließlich.
    Einen Augenblick lang war er unsicher, ob sie seine Frage überhaupt mitbekommen hatte, denn sie reagierte nicht. Doch dann wandte sie ihm mit einem bitteren Lächeln ihr Gesicht zu. »Aus freiem Willen? Wir sind nicht frei, Mr Clifford. Nie, auch wenn wir es uns noch so sehr wünschen. Am Ende habe ich das ebenso erkennen müssen wie er.« Sie atmete schwer und wirkte mit einem Mal nur noch resigniert. Ein feiner Schweißfilm war auf ihrer weißen Stirn zu sehen. »Aber er hätte gewollt, dass sie diese Dinge bekommt«, sagte sie erneut. »Wenigstens das bin ich ihm schuldig.«
    Clifford nickte. Es stand ihm nicht zu, ihre Entscheidung infrage zu stellen – er war nur ihr Anwalt. Doch als er sich wenig später von ihr verabschiedet hatte und zurück zu seinem Wagen ging, fragte er sich, ob sich Lady Barrington darüber im Klaren war, dass das Paket unter Umständen mehr in Gang setzte, als ihr vielleicht lieb war.
    6
     
    Berlin, Januar 1948
    M elinda hatte die ganze Woche an der Reportage gearbeitet. Sie hatte sich drei unterschiedliche Frauen ausgesucht, die sie porträtieren wollte. Die vierzigjährige Dora, deren Mann Invalide geworden war und die seit dem Kriegsende als Trümmerfrau arbeitete, die achtundsiebzigjährige Gertrud, deren zwei Kinder, Schwiegertochter und eigener Mann bei einem Bombenangriff umkamen, während sie mit ihrer neunjährigen Enkeltochter Klara beim Einkaufen war, und die sich nun gezwungen sah, sich beide allein durchzubringen. Und schließlich ihre Mitbewohnerin Lisa, deren Mann in Russland gefallen war. Der Artikel sollte das persönliche Schicksal der Frauen nachzeichnen, die stellvertretend für so viele andere standen. Die Arbeit daran nahm Melinda gefangen. Sie traf sich mehrere Male mit den Frauen für die Interviews und schrieb an der Reportage.
    Als sie den Artikel schließlich fertig hatte, brachte sie ihn zum Telegraf . Die Sekretärin empfing sie mit einem freundlichen Lächeln. Im Haus sei gerade Redaktionskonferenz, man werde sich bei ihr melden, sobald Herr Scholz den Artikel gelesen habe, versicherte sie ihr. Melinda nickte und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Sie hatte voller Naivität gehofft, dass Scholz den Artikel gleich lesen und ihr seine Meinung mitteilen würde.
    Sie beschloss, die Zeit zu nutzen und Alfred, einen alten Schulfreund, aufzusuchen, der als Bibliothekar an der Universität Unter den Linden arbeitete. Vielleicht vermochte er ihr einen Tipp zu geben, wo sie etwas über englische Moore in Erfahrung bringen konnte. Das Paket ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Aus unerfindlichen Gründen war sie überzeugt, dass sie, wenn sie nur wüsste, wo die Bilder gemalt worden waren, dann auch dem Geheimnis ihres Ursprungs ein Stück näher kommen würde.
    »Wenn ich dich richtig verstehe, suchst du ein Buch über Großbritannien und seine Landschaften?«, sagte Alfred. Sie hatte ihn in der Halle angetroffen, wo er gerade dabei war, eine eingestaubte Ladung
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