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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman
Autoren: Claire Winter
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Hunderttausende Menschen obdachlos geworden – und dennoch erschien ihm die Atmosphäre hier leichter und weniger düster. Er erinnerte sich an den Widerwillen, mit dem er nach Berlin gereist war. Allein sein Pflichtgefühl hatte ihn dazu gebracht. George Clifford hatte in der Normandie gekämpft und war nach der Kapitulation einige Monate als Besatzungsoffizier in Hamburg gewesen. Er war erleichtert, als er damals wieder nach England zurückkehren konnte, und hatte nie wieder nach Deutschland gewollt. Doch sein Bild hatte sich in der Zeit, die er nun in Berlin verbracht hatte, verändert.
    Seine Gedanken wanderten zu der jungen Frau zurück. Er fragte sich, wie sie wohl auf das Paket reagiert hatte. In den Tagen, die er sie beobachtet hatte, war sie ihm so vertraut geworden, als würde er sie kennen. Dabei hatte er keinen einzigen Satz mit ihr gesprochen – sah man einmal von dem kurzen Wortwechsel ab, als sie wie zufällig zusammengestoßen waren. Es war nicht besonders professionell von ihm gewesen, doch seine Neugier war zu groß, und er hatte der Versuchung nicht widerstehen können, einmal ihre Stimme zu hören. Als er ihr die Mappe reichte, hatten sie sich einen kurzen Moment lang angesehen. Ein paar Sekunden nur, in denen sich ihm ihre Gesichtszüge eingeprägt hatten – die ungewöhnlich dunkelgrünen Augen, die hohen Bögen ihrer Brauen und der kleine zarte Leberfleck an der Schläfe. Er hatte den Anflug von Verwirrung in ihrem Blick bemerkt, als hätte sie unbewusst gespürt, dass es einen Grund für ihren Zusammenstoß gab.
    Clifford fragte sich, warum man ihn vorzeitig nach England zurückgerufen hatte. Die Anweisung war klar gewesen – er sollte ihr das Paket zukommen lassen, aber nun doch keinen offiziellen Kontakt mit ihr aufnehmen.
    Das Taxi verlangsamte seine Fahrt, und Clifford sah, dass sie bereits Waterloo Station erreicht hatten. Er bezahlte den Fahrer und stieg aus. Menschen drängten sich in der Bahnhofshalle. Er warf einen kurzen Blick auf die großen Anzeigetafeln, bevor er sich mit seinem Koffer durch die Kontrolle zu dem Gleis begab, auf dem der Zug Richtung Plymouth abfahren sollte. Nur wenige Reisende trieb es im Februar in den Südwesten Englands, und die Waggons waren halb leer. Ein uniformierter Zugangestellter nahm Clifford den Koffer ab und geleitete ihn zu seinem Abteil erster Klasse, das er ganz für sich allein hatte.
    Er machte es sich in seinem Sitz bequem. Gut drei Stunden Fahrt lagen vor ihm. Er hatte seiner Kanzlei telegrafiert, dass man ihm einen Wagen nach Exeter schicken sollte, denn er wollte sich noch heute nach Hampton-Manor begeben. Vorher war sein Auftrag nicht erledigt.
    Draußen ertönte das aufheulende Signal der Dampflok, und der Zug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Schon bald ließen sie die Häuser von London hinter sich, und Clifford spürte, wie er sich unter dem rhythmischen Rattern der Zugräder auf den Gleisen entspannte und einschlief.
    Als er erwachte, empfing ihn draußen die typische Landschaft Südenglands – weite Felder, Hügel und Wiesen, über denen ein grauer Schleier lag. Berlin und London und mit ihnen die Schrecken des Krieges schienen mit einem Mal wieder weit fort und längst vergangen zu sein.
    Sie erreichten Exeter pünktlich. Die hagere Gestalt von Liam Loyster, dem Chauffeur, der schon seinen Vater gefahren hatte, empfing ihn auf dem Bahnsteig.
    Die Fahrt ging aus der Stadt hinaus in Richtung Dartmoor. Sanfte Hügel und Waldgebiete flossen ineinander über. Die Straßen, die schmal waren, wurden bald von hohen Hecken gesäumt, die die Sicht in die Ferne versperrten, und dann wieder nur von niedrigen Mauern aus rohem Stein, die hier schon seit Jahrhunderten standen und den Blick bis zum Horizont freigaben. Gelegentlich durchfuhren sie eines der Dörfer, in denen sich die alten Cottages und zweistöckigen Häuser so eng aneinanderschmiegten, als suchten sie in der Einsamkeit Schutz beieinander.
    Kurz vor Moretonhampstead bogen sie schließlich in eine Allee. Zwischen den kahlen Ästen der alten Bäume konnte man das Herrenhaus der Hamptons erkennen. Es lag auf einer Erhebung, sodass dem Besucher bei der Anfahrt genug Zeit blieb, es zu bewundern. Seine Grundmauern waren bereits im sechzehnten Jahrhundert entstanden, doch die Nachfahren hatten Ende des achtzehnten Jahrhunderts etliche Veränderungen und Vergrößerungen vorgenommen, zu denen auch die beiden Ecktürme gehörten, die dem Gebäude heute eher das Aussehen eines
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