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Die Schrift an der Wand

Die Schrift an der Wand

Titel: Die Schrift an der Wand
Autoren: Gunnar Staalesen
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Sendung.
Sie war Anfang Vierzig, hellblond und trug eine halblange
Sportjacke in Braun und Beige, frisch gewaschene helle Jeans
und halbhohe, schwarze Stiefeletten. Über der Schulter trug sie
eine braune Handtasche. Ihr Gesicht war markant, mit gewölbten, hellen Augenbrauen, hohen Wangenknochen und einem
Mund, der nicht mehr so leicht lächelte, wie er es wohl früher
einmal getan hatte, wenn man die Lachfältchen um ihre Augen
berücksichtigte. Sie war dezent geschminkt und trug eine
einfache Goldkette um den dünnen Hals.
Sie flocht die Finger ineinander und streckte die Arme mit
offenen Handflächen aus. Ein deutliches Zeichen dafür, daß sie
keine Lust hatte, anzufangen.
Ich schob den Notizblock zur Seite und beugte mich ein klein
wenig vor, um mehr Vertraulichkeit zu schaffen. »Ich habe den
… Wie war gleich der Vorname?«
»Sidsel. Mit d.«
»Und womit meinen Sie, kann ich Ihnen helfen?«
Wieder schien sie mich mit großem Abstand zu betrachten.
»Ich … Ich hätte nie gedacht, daß ich jemals in die Lage
kommen würde – zu jemandem wie Ihnen zu gehen.«
»Sprechen Sie es ruhig aus. Einem Privatdetektiv.« Ich legte
die Hand auf die linke Brust und lehnte mich mit einem kleinen
Lächeln zurück. »Aber im Grunde meines Herzens bin ich
Sozialpädagoge.«
»Ach? Waren Sie das früher?«
Ich nickte.
»Ich habe meinem Mann nicht gesagt, daß ich … Außerdem
… Wir leben getrennt.«
»Ach ja?«
»Ich glaube, er würde es nicht … Sie kennen vielleicht den
Namen. Holger Skagestøl.«
»Der Journalist?«
»Ja, er ist jetzt in – der Redaktionsleitung.«
»Ah, ja. Doch, ich kenne den Namen, ich weiß, wer er ist, aber
ich bin ihm, glaube ich, nie begegnet.«
»Nein, das …« Sie öffnete die Handtasche und griff nach
etwas, sah sich dann aber zuerst mit einem fragenden Blick um.
»Darf ich rauchen?«
Ich öffnete die zweite Schublade von oben und holte einen
kleinen Keramikaschenbecher heraus, den Thomas einmal in der
Schule getöpfert hatte. »Selbstverständlich.«
»Sie rauchen selbst nicht?«
»Nein, ich halte mich an die anderen Laster.«
Sie lächelte blaß, steckte die Zigarette in den Mund und gab
sich selbst Feuer. »Ich rauche auch nicht viel. Aber …«
»… Sie sind nicht hergekommen, um mir das anzuvertrauen?«
Sie sah mich verblüfft an. »Nein.«
Ich warf ihr einen aufmunternden Blick zu.
»Wir haben drei Kinder. Torild ist sechzehn, Vibeke fünfzehn
und Stian zehn.«
»Mmh? Geht es vielleicht um eines von ihnen?«
»Ja. Um Torild. Mit d.«
»Eine Familientradition?«
Sie zeigte nicht einmal die Spur eines Lächeln. »Ja, das könnte
man – so sagen.«
»Und was ist nun mit ihr?«
Sie sog hektisch an der Zigarette und blies den Rauch aus, als
habe sie vor, den Raum einzuräuchern. »Sie ist verschwunden.
Sie ist seit – fast einer Woche nicht zu Hause gewesen!«
»So?«
Jetzt, da die Katze endlich aus dem Sack war, schien sich auch
ihre Zunge zu lösen. »Ich hab schon gemerkt, nachdem wir, ja,
nach der Trennung, daß sie nicht so, daß es ihr nicht gutging,
sozusagen, aber es war ja nie, doch, es kam vor, daß sie etwas
spät nach Hause kam, aber ich bin immer aufgeblieben und habe
gewartet, bis sie kam, aber letzten Donnerstag, ja, da bin ich
überhaupt nicht ins Bett gekommen, denn sie kam nicht!«
»Aha! Und wo war sie?«
»Na ja, ich dachte ja, aber sie war auch nicht in der Schule
gewesen, es stellte sich heraus, daß sie – in letzter Zeit oft nicht
dagewesen war, ohne daß ich davon wußte. Ich … Ich dachte
natürlich, sie sei bei einer ihrer Freundinnen, also telefonierte
ich herum, aber da war sie auch nicht, bei keiner von ihnen, und
dann dachte ich, na ja, sie käme wohl nach Hause, wenn sie
Hunger bekäme, aber dann wurde es Abend, und Nacht, und sie
kam einfach nicht wieder.«
»Was haben Sie dann getan?«
»Also an dem Freitag sollte sie sowieso nicht in die Schule. Da
war Planungstag. Aber dann rief ich Holger an.«
»Und der – was hat der gesagt?«
»Er fing natürlich an, mir die gleichen Fragen zu stellen, ob
ich den und den angerufen hätte, und warum ich ihm nicht
gesagt hätte, daß sie völlig außer sich gewesen sei, und ob ein
Freund im Spiel sein könnte …«
»Könnte er das?«
»Ein Freund?« Sie sah aus, als wisse sie kaum, was das war.
»Jedenfalls kein fester. Nicht daß ich wüßte. Aber jetzt begreife
ich ja, daß … aber ich muß mich ja auch um die anderen
kümmern, und das ist nicht so einfach, mitten in
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