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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Autoren: Adam Soboczynski
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Angestellten antreibt?
     Soll man sich unterhaken und ihn stürzen? Undenkbar: Es gibt den Chef, auf den sich die Wut vereinen könnte, nicht mehr. Er
     ist der angenehmste Mensch auf Erden. Es gibt auch kein Wir. Es gibt das Ich, das eingepanzerte, das sich seine Karriere geschickt
     erkämpft. Der Gegner sitzt nicht mehr oben, da ist nur noch der Himmel. Er sitzt neben einem im Großraumbüro. Das nennt man
     flache Hierarchie.
    Wie sich verhalten, um sich durchzusetzen? Immer mit einem Lächeln. Der flexible Mensch unserer Zeit tut nie das, was er vorgibt,
     er gleicht einem Chamäleon, das die Farbe des Gesteins annimmt, auf dem es sitzt.
    Allzeit reaktionsschnell sei der Mensch heute, ortsunabhängig und anpassungsfähig, heißt es. Treffende Begriffe, gewiss. Es
     sind Begriffe des höfischen Lebens. Damals, als jeder |27| Höfling des anderen Gegner war, mit Verve seine Karriere vorantrieb oder um eine Liebschaft buhlte. Am Hof war er nicht mehr
     der alte Ritter, der mit Schwert und Lanze kämpfte, seine Waffen waren nun wohlbedachte Worte und tückische Gesten. So wie
     auch heute niemand auf dem Schlachtplatz der Straße Parolen skandiert, sondern in seinem Alltag mit Freundlichkeit sich tarnt.
    Dem Urvater der Verstellungskunst, dem düsteren spanischen Jesuiten Baltasar Gracián, war die Täuschung, das Schmeicheln,
     das Hinter-dem-Rücken-Reden unserer Zeit allzu vertraut. Vor über 350 Jahren. Er und andere Moralisten seiner Zeit werden
     uns ab und an in unseren Geschichten begegnen. Sie wollten den Menschen nicht moralisch erbauen, sondern ihm seine Maskenhaftigkeit
     aufzeigen, nicht bessern wollten sie ihn, sondern sein moralisches Koordinatennetz nur begreifen; nicht ethisch verfeinern,
     sondern ihn kluges Handeln lehren.
    Das wollen wir auch. Für unsere Zeit. Denn schlecht war die Welt, und sie ist es, schauen wir uns nur um, noch heute.
    Was ist das Leben? Es ist ein Minenfeld.
    Was die Verstellung? Bedingung unseres Aufstiegs.
    Was ist die Liebe? Die schönste aller Täuschungen.

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    |28| 4 INTERESSIERT BLICKEN
    W ie sehnen wir uns doch nach Aufmerksamkeit! Wer im Gespräch im Mittelpunkt steht, gefällt sich bisweilen ungemein. Kaum etwas
     befriedigt die Eitelkeit mehr. Vor allem, wer seine Zuhörer dergestalt in den Bann zu ziehen versteht, dass er in seinem Narzissmus
     gefällt. Erst dann blicken die Zuhörer den Erzähler aufmerksam und interessiert an. Sie vergessen sich selbst, sie hängen,
     so lautet eine schöne Wendung, an seinen Lippen. Das wiederum gefällt dem Erzähler sehr, der genau weiß, dass sich selbst
     gefallen nur wenig hilft, wenn man nicht den anderen gefällt. Umgekehrt gilt: Wer dem Erzähler schmeicheln will, hört aufmerksam
     zu.
    Gut zuhören lässt sich einer Frau während eines Spaziergangs am Rhein. Der erste warme Tag im Jahr: Inline-Skater wagen sich
     nach draußen, ziehen an dem flanierenden Paar vorbei. Die Frau blickt etwas geistesabwesend auf ein Passagierschiff, das gemächlich
     stromabwärts zieht.
    Die Frau hat heute einen freien Tag, sie ist Chirurgin, die letzten Tage waren ziemlich anstrengend: zwei Blinddarmdurchbrüche,
     ein kompliziertes Aneurysma und dann noch diese Sache mit dem Pfleger. Schön, dass sie heute ihren |29| guten alten Freund zu einem Spaziergang hat überreden können.
    Nennen wir, der Einfachheit halber, den guten alten Freund Andreas und die Frau Maria.
    Die beiden kennen sich aus alten Uni-Zeiten. Andreas schreibt noch immer an seiner sich nicht recht zu einem glücklichen Ende
     entwickelnden Doktorarbeit über die Merowinger. An manchen Tagen entbehrungsreicher Wochen, wie er sie seit Jahr und Tag über
     Kopien gebeugt verbringt, angewidert vom unschönen Gestrüpp der Fußnoten in allerlei Forschungsliteratur, leidend unter Schreibhemmungen,
     klingelte Maria, damals noch Studentin, an der Tür seiner kleinen Wohnung und brachte Bier mit. Das wurde dann gemeinsam im
     Bett getrunken. Und Chips gab es und Videofilme: alle verfügbaren Bonds. Bier statt Wein, das hat ihm gefallen. Nach manchen
     Nächten lag sie tief versunken im Schlaf, während er, noch eine letzte Zigarette am Fenster rauchend, leicht verwundert bemerkte,
     dass bereits der Morgen dämmerte. Das mochte er, noch wach sein, wenn sie schlief. Sein Blick fiel gern auf ihre im Schlaf
     leicht unruhigen Augenlider.
    Das alles ist schon ein paar Jahre her, damals schien die Welt, zumindest für Augenblicke, den beiden wie ein Meer von
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