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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Autoren: Adam Soboczynski
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geschrieben, nicht ohne zu verschweigen,
     dass er ein wenig irritiert sei.
    Kurzum: Herr Strass wäre im Laufe dieses E-Mail-Verkehrs in immer größere Verlegenheit geraten. Mit nur etwas Glück hätte
     er sehr bald auch störrisch reagiert, mangels finanzieller Reserven in uneinsichtiger Weise auf dem Gesamtbetrag beharrt und
     eines schlecht gelaunten Morgens eine Mail an Herrn Walter geschrieben, die diesen dazu aufgefordert hätte, ihn »endlich mit
     diesem kleinlichen Scheiß« zu verschonen. Darauf aber hätte Herr Walter nur gewartet, hätte den E-Mail-Verkehr ausgedruckt,
     ihn seinem Chef vorgelegt und bescheiden dargelegt, dass er beim besten Willen zwar nicht die Absicht habe, freie Mitarbeiter
     schlecht zu machen, aber es sei ein Problem entstanden, um das zu lösen er seinen Rat erbitte.
    |21| Ja, wie leicht hätte diese Geschichte eine gute Wendung nehmen können. Wäre Herr Walter nur nicht so zornig geworden!
    Wer seine Affekte nicht zu kontrollieren vermag, entblößt sein Inneres und ist leicht verwundbar. Das heißt nun allerdings
     nicht, dass man sich nicht wütend zeigen dürfte oder traurig. Kunstvoll in Zorn zu geraten, um einen Konkurrenten einzuschüchtern,
     ist durchaus übliche Praxis. Nur sollte dies niemals in Mails geschehen, die, wie jeder weiß, oftmals in Umlauf gebracht werden.
     Dagegen: Hin und wieder in das Büro eines sensiblen Kollegen zu treten, diesen übertrieben aufbrausend auf einen Fehler, eine
     kleine Unaufmerksamkeit hinzuweisen kann nützlich sein, um sich Respekt zu verschaffen.
    Große Kunst: Sich gezielt mit Zornesröte öffentlich zu äußern, zum Beispiel während einer Konferenz. Dann sollte man einen
     Standpunkt aber gleich so vehement vertreten, dass alle Beteiligten glauben, dass dies dem Zornerregten mehr schadet als nützt.
     Das kann ab und an in Kauf genommen werden, sofern man dadurch als ausgesprochen eigenwilliger Charakter erscheint, als jemand,
     der eine Haltung hat. Dies wiederum erfordert einen so hohen Reifegrad der Verstellung, dass dies nur den Erfahrenen in jener
     Kunst empfohlen sei.

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    |22| 3 SICH VERSTELLEN
    Z wei Geschichten liegen hinter uns, die davon handeln, dass wir uns immerzu inszenieren, inszenieren müssen, um Wünsche, Gedanken,
     Sehnsüchte auszudrücken, dass wir uns immerzu verstellen! Zur Schonung anderer, damit sie uns in Zukunft nicht schaden und
     um uns gegenüber Konkurrenten Vorteile zu verschaffen. Wir brauchen dafür den Körper, brauchen die Sprache. Fragile Werkzeuge,
     die anzeigen, dass ein Riss, seitdem wir auf der Welt sind, in uns ist; dass wir gespalten sind in ein geistiges Innen und
     ein körperliches Außen; dass wir authentisch sein wollen und bestenfalls so wirken. Nie sind wir bei uns selbst, die Schöpfung,
     seit wir den Sündenfall erlitten, ist reines Welttheater. Und »wahrhaft zu sein«, wie einst ein Philosoph sagte, heißt nur,
     »nach einer festen Konvention zu lügen, herdenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu lügen«.
    Verstellung ist das Verbergen von Absichten, von Charaktereigenschaften, von Einstellungen. Schon das freundliche Grüßen eines
     Kollegen, den wir nicht schätzen, der im Büro immer so selbstgefällig grinst, der grundlos glaubt, uns überlegen zu sein,
     ist streng genommen Verstellung. Es gibt Tage, da würden wir ihn gerne ohrfeigen. Doch wir tun es nicht. |23| Wir grüßen, wen wir verachten, noch herzlich. Ohne Höflichkeit, die unsere Leidenschaften dämpft, die den Alltag mit sanften
     Lügen umspannt, ohne Triebhemmung, ohne auferlegte Distanz wären wir so unverstellt gefährlich, wie es nur Tiere sind. Man
     muss schon staunen, wie sehr das zivile Zusammenleben vom beharrlichen Sich-Zusammenreißen der Menschen geprägt ist, ja überhaupt
     erst ermöglicht wird. Und wie mühelos es den meisten gelingt, sich dabei auch noch moralisch zu wähnen. Verstellt wird in
     dieser Selbstlüge die Verstellung selbst.
    Es wurde vor einiger Zeit die feine Beobachtung gemacht, dass die Verstellungskunst immer dann Konjunktur hat, wenn eine Krisenzeit
     die Menschen plagt. Verbissen kreisten einst die Höflinge um den Fürsten wie Motten ums Licht, und das, was heute Mobbing
     genannt wird, war schon damals übliche Praxis: Man stach sich gegenseitig aus, machte den Gegner lächerlich, suchte beharrlich
     nach seinen diskreditierenden Eigenheiten – um nicht selbst einen sozialen Abstieg zu erleiden. Es ging zu wie heute in Chefetagen,
     in jedem
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