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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Autoren: Adam Soboczynski
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dass wir authentisch sein wollen
     und bestenfalls so wirken. Nie sind wir bei uns selbst, die Schöpfung, seit wir den Sündenfall erlitten, ist reines Welttheater.
     Es gibt den Liebesaugenblick, gewiss, den trügerischen, da wir ein unverstelltes Auge zu erblicken meinen, das Tasten einer
     Hand, die nur nach uns verlangt, ein Geschenk, das keine Gegenleistung verlangt. Doch noch der verliebteste Blick trägt die
     Verstellung in sich, die wir niemals enttarnen, und den Eigensinn. Das macht die Liebe seit je so schön, da sie einem immer
     entweicht, das macht sie seit je so traurig aus gleichem Grund. Dass wir uns die Harmonie eines Inneren und des Körpers denken
     können, macht uns zu jenen Tieren, die vergeblich hoffen, zu ewig Makelbehafteten.
    |197| Noch der entsetzlichste Schock, den wir erleiden, der unsere Inszenierung für eine Sekunde außer Kraft setzt, wird übertüncht
     mit großer Emsigkeit, mit einem Sich-Zusammenreißen, noch der grässlichste Tod wird kulturell überbrückt mit Formalia und
     Begräbnisriten, die unsere Eitelkeit, spätestens beim Leichenschmaus, neu entfachen.
    Noch erahnen wir die Zeit, als man es sich leidlich einrichten konnte: Einem Naturgesetz gleich wurde einst des Metzgers Sohn
     gleichfalls ein Metzger, der Studienrätin Tochter eine Lehrerin. Als man dreißig war, da kam das zweite Kind zur Welt. Mit
     vierzig war man eingerichtet für die letzte Zeit. Die Möglichkeiten der Lebensgestaltung waren begrenzt. Das ließ die Verstellungskunst
     im Winterschlaf verharren. Der Alltag war langweilig, mag sein, doch ist das nicht stets der Preis des Friedens?
    Die Welt, die sich entfaltete, durch den regen Austausch von Gütern, den Bruch festgelegter Lebensläufe, flirrende Beweglichkeit,
     durch den beständigen Auf- und Abstieg, das notorische Schließen von Fabriken und ihre Neueröffnungen an anderer Stelle, durch
     die Freiberuflichkeit, den Zusammenfall von Berufs- und Privatleben, die Angst vor dem Jobverlust, das Umherreisen des Pendlers,
     das Vagabundieren noch des sesshaftesten Gemüts hat die alte Kunst der Verstellung auf den Plan gerufen.
    Es sind die veränderten und verschärften Wettbewerbsbedingungen, die die Rüstung des alten Höflings, der seine Affekte zu
     beherrschen wusste, in neuem Glanz erstrahlen lassen. Denn erfolgreich zu sein vermag, da die Herkunft |198| kein Garant mehr ist, wer reaktionsschnell ist, ortsunabhängig und anpassungsfähig, wer die Selbstkontrolle, unbeirrt von
     Hindernissen, aufrecht erhält und dem Zufall trotzt, der ihm immer wieder Stolpersteine in den Weg legt. Der heutige Mensch
     hat mit dem Höfling gemein, dass er in hohem Maße ein Rollenbewusstsein entwickelt hat. Jede TV-Show, sei es eine Politikerrunde
     oder ein Modellwettbewerb junger Frauen, rückt die Selbstdarstellung, die Maskerade, den strategischen Einsatz des Körpers
     in den Mittelpunkt. Entsprechendes geht auch in Bürogebäuden vonstatten. Deren flache Hierarchien erfordern List und Tücke,
     um sich in die ständige Bewegung der undurchschaubaren Machtverhältnisse fügen zu können.
    So haben wir denn Geschichten erzählt von all jenen, die sich im Beruf und in der Liebe geschickt durchzusetzen suchen, vom
     freien Architekten haben wir etwas erfahren, von einem Verlagschef und seiner Sekretärin (der lieben Frau Sentmüller), auch
     an die Geschichte der Chefin eines Meinungsforschungsinstituts sei erinnert wie auch an den perfekten Verführer, einen Makler
     haben wir auftreten lassen und einen auf vorteilhafte Weise untersetzten Winzer. Und so manch andere, die sich mal gut, mal
     weniger gut in ihrer feindlichen Umwelt zu behaupten wussten, wie die Layouterin und ihr Ex-Freund, der überaus erfolgreiche
     junge Autor. Es mag Leser geben, die noch die letzte und feinste Verästelung dieser Menschen untereinander zu erspähen vermögen.
    Halt. Wir wollen noch nicht enden. Es folgt noch eine |199| letzte Geschichte, um nicht den Eindruck zu erwecken, mit unserem Gedicht wäre alles gesagt:
    Was ist das Leben? Es ist ein Minenfeld.
    Was die Verstellung? Bedingung unseres Aufstiegs.
    Was ist die Liebe? Die schönste aller Täuschungen.

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    S icher, optimal ist dieser Aushilfsjob nicht. Jedenfalls nicht für einen ausgebildeten Architekten. Stephan Karst räumt zwei
     Kaffeetassen weg, wischt über die Tische und jongliert das Geschirr nicht ungeschickt hinter den Tresen. Dann spült er es
     mit einiger Vehemenz ab. Die
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