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Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen

Titel: Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Autoren: Adam Soboczynski
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Musik ist verklungen, soll er schon wieder diese Chansons einer französischen Sängerin einlegen,
     an denen sich die Besucher nicht satt hören können? Stephan kann ihre rauchige Stimme kaum noch ertragen, ach, was soll’s.
    Der Job – na ja, Hauptsache, es kommt wieder etwas Geld in die Kasse, er war es vor wenigen Tagen zudem schließlich leid geworden,
     den ganzen Tag im Bett herumzuliegen mit den allerdüstersten Gedanken. Ganz zaghaft kam eines Tages ein Funken Lebenswillen
     in ihm auf. Er stand auf, blickte im Badezimmer in sein bärtiges Gesicht und sah, dass ihn die Schwermut zumindest ziemlich
     schlank hatte werden lassen. Wie erschrocken aber war er, als er sich umblickte. Staub hatte sich in der gesamten Wohnung
     in hässlichen Flocken ausgebreitet; Weingläser, Bierflaschen, DVDs lagen auf dem Boden herum, die Heizung in der Küche lief
     seit Tagen sinnlos auf Hochtouren, der Anrufbeantworter blinkte aufgeregt, |201| seit langer Zeit war er nicht abgehört worden, wahrscheinlich hatte eh nur seine Mutter draufgesprochen. Die Fenster könnte
     man auch mal wieder putzen, dachte Stephan, als er in der Küche stand. Zwei Pizzen hatten angefangen zu schimmeln, es roch
     auf unschöne Weise sehr süßlich, der Müll war von dicken Fliegen wild umschwirrt.
    Schwer zu sagen, was es war, das ihn schließlich dazu brachte, nach und nach die heillose Unordnung zu beseitigen. Vielleicht
     doch die Überschreitung einer gewissen Grenze der Verwahrlosung, ab der sich sozusagen automatisch der Widerstand regt.
    Nachdem sein Vertrag in einem Architekturbüro nicht verlängert worden war und Stephan Karst wütend die Firma verlassen hatte,
     lag er über lange Zeit wie betäubt im Bett, halb träumend von früheren, besseren Zeiten, halb der entsetzlichen Scham sich
     aussetzend, die er vor seinen Eltern empfand. Seine Mutter war in seinem Leben immer die treibende Kraft gewesen, sie hatte
     ihn mit einigem Aufwand, obgleich man kleinen Verhältnissen entstammte, zum Abitur und zum Studium gedrängt, unter Drohungen
     zu Höchstleistungen vorangetrieben usw. Er hatte ihr doch einiges zu verdanken. Dass seine Karriere vorerst so schmählich
     gescheitert war, schien er nur schwer zu verkraften.
    Zum ersten Mal seit Tagen trat Stephan Karst, nachdem er den gröbsten Müll aus seiner Wohnung gebracht hatte, hinaus. Das
     düsterste Wetter, Regen, er knöpfte sich rasch den Mantel zu, ging ziellos durch das Viertel. Er kaufte sich ein mit einer
     Bockwurst gefülltes Croissant, das mit Käse |202| überbacken worden war, und wäre beinahe gedankenverloren an dem kleinen Schild, das an einem Café prangte, vorbeigegangen:
     »Aushilfe gesucht.« Er spähte durch die Fensterfront, sah viele Frauen zwischen dreißig und vierzig, die sich rege unterhielten,
     darunter einige Mütter. Gefiel ihm, irgendwie. Sollte er den Architektenkram mal ruhen lassen, sich vielleicht später erst
     wieder bewerben? Er stellte es sich ganz angenehm vor, im Café zu stehen, die Frauen freundlich zu bedienen, die womöglich,
     wer weiß, nur darauf warteten, ihrem Leben eine überraschende Wendung zu geben.
    Wenige Minuten später saß er auch schon dem Besitzer des Lokals gegenüber, einem Mann mit Dreitagebart, nur etwas jünger als
     er, der, was Stephan sehr sympathisch war, aus Unglück über sein Studium das Café eröffnet hatte und bester Laune schien.
     Gewissermaßen ein Leidensgenosse. Stephan konnte sofort anfangen, trank zum Einstand mit seinem Chef ein kleines Bier.
    So also kam es, dass Stephan jetzt hinter dem Tresen steht, was er seinen Eltern verheimlicht. Ein wenig heikel wird das nächste
     Wochenende, da hat er Schicht und seine Mutter hat sich angekündigt, um einer arbeitsrechtlichen Angelegenheit wegen (Stephans
     Vater war wohl zu einer Frühpensionierung gedrängt worden) in einer Kanzlei der Stadt vorzusprechen.
    Stephan dachte, die Hände im Spülbecken, gerade an den Rechtsanwalt seiner Eltern, als er sie erblickte. Sie, das war eine
     Frau, die allein an einem Tisch direkt am Fenster saß. Sie hatte kurzes schwarzes Haar, ein Gesicht, das ihm bekannt vorkam,
     als sei sie eine Schauspielerin, die er in einem uralten |203| Film womöglich einmal gesehen hatte, die großen Augen, das Gesicht, ja, wie sollte man es beschreiben – womöglich passte das
     Wort »klassisch« ganz gut, ebenmäßige Züge jedenfalls.
    War schon nicht so falsch, dass er in diesem Café angefangen hat, dachte Stephan, das brachte
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