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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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unterbrach, bedachte er mit einem ungeduldigen Stirnrunzeln. Sie verschlangen sein monatliches Taschengeld, und nachts lag er wach und sann unermüdlich über ihre Vielfalt und Farbenpracht nach.
    Bis sechzehn hatte er fast ausschließlich in sich gekehrt [17] gelebt, ein nicht sehr wortgewandter, durch und durch unamerikanischer Junge, der sich von seinen Altersgenossen artig verwirrt zeigte. Die beiden vorangegangenen Jahre hatte er in Europa verbracht, mit einem Privatlehrer, der ihn von den Vorzügen Harvards überzeugte: Die Universität werde ihm »Türen aufschließen«, sie sei ein ungeheures Stimulans und werde ihm ungezählte aufopferungsvolle und anhängliche Freunde bescheren. So ging er nach Harvard – es gab nichts anderes, was sich vernünftigerweise mit ihm anstellen ließ.
    Repräsentation war ihm fremd, und so wohnte Anthony eine Weile allein und unerwünscht in einer Dachkammer in Beck Hall – ein schlanker, dunkelhaariger Bursche mittlerer Statur mit einem schüchternen, empfindsamen Mund. Sein Monatswechsel fiel mehr als großzügig aus. Er legte den Grundstock zu einer Bibliothek, indem er bei einem hausierenden Büchernarren Erstausgaben von Swinburne, Meredith und Hardy sowie das vergilbte, unleserliche Autograph eines Briefes von Keats erstand – später fand er heraus, dass ihm entschieden zu viel berechnet worden war. Er wurde ein exquisiter Dandy und erwarb eine ziemlich pathetische Kollektion seidener Pyjamas, brokatener Morgenmäntel und ausgefallener Krawatten, die zu ausgefallen waren, als dass er sie hätte tragen können; in diesem heimlichen Putz prunkte er vor einem Spiegel in seinem Zimmer oder lag, hingegossen in Satin, an seinem Fensterplatz, sah auf den Hof hinunter und bemerkte undeutlich das atemlose, hastige Treiben, an dem er offensichtlich niemals Anteil haben würde.
    In seinem letzten Studienjahr stellte er fest, dass er [18] seltsamerweise unter seinen Kommilitonen eine gewisse Stellung errungen hatte. Er erfuhr, dass man ihn für eine recht romantische Figur hielt, für einen Gebildeten, einen Einsiedler, eine Säule der Gelehrsamkeit. Dies belustigte ihn, doch insgeheim freute er sich darüber – er begann auszugehen, zunächst ein wenig, dann immer öfter. Er wurde in die Hasty Pudding Society aufgenommen. Er trank – heimlich, still und leise und in bester Tradition. Wäre er nicht in so jungen Jahren ans College gekommen, so hätte er womöglich »hervorragend abgeschnitten«, hieß es. 1909, bei seinem Abschlussexamen, zählte er erst zwanzig Jahre.
    Danach wieder ins Ausland – diesmal nach Rom, wo er abwechselnd mit Architektur und Malerei liebäugelte, sich aufs Geigenspiel verlegte und einige haarsträubende italienische Sonette verfasste: die angeblichen Grübeleien eines Mönchs aus dem dreizehnten Jahrhundert über die Freuden der vita contemplativa. Unter seinen Vertrauten in Harvard sprach sich herum, dass er sich in Rom aufhielt; wer in jenem Jahr im Ausland weilte, schaute bei ihm vorbei und stieß bei zahllosen Mondscheinspaziergängen mit ihm auf vieles in der Stadt, das älter als die Renaissance, ja älter als die Republik war. Maury Noble aus Philadelphia etwa blieb zwei Monate; gemeinsam entdeckten sie die besonderen Reize südländischer Frauen und genossen das köstliche Gefühl, in einer Kultur, die sehr alt und frei war, sehr jung und frei zu sein. Nicht wenige Bekannte seines Großvaters kamen zu ihm zu Besuch, und hätte es ihn danach verlangt, so hätte er es in diplomatischen Kreisen zur persona grata bringen können – in der Tat stellte er fest, dass es ihn in zunehmendem Maße zur Geselligkeit hinzog, doch jugendliche [19] Zurückhaltung und daraus resultierende Schüchternheit bestimmten sein Verhalten noch immer.
    Aufgrund einer jener unverhofften Erkrankungen seines Großvaters kehrte er 1912 nach Amerika zurück und entschloss sich, nach einer übermäßig anstrengenden Unterredung mit dem stets wieder aufs Neue genesenden Alten, das Vorhaben einer dauerhaften Ansiedlung im Ausland auf die Zeit nach dem Ableben seines Großvaters zu verschieben. Nach ausgedehnter Wohnungssuche nahm er sich in der 52. Straße ein Apartment und richtete sich allem Anschein nach häuslich ein.
    1913 stand Anthony Patchs Anpassung an das Universum kurz vor dem krönenden Abschluss. Körperlich hatte er sich seit seinen Studententagen fortentwickelt – zwar war er noch immer zu schmal, doch seine Schultern waren breiter geworden, und sein
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