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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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dass es jetzt zu Ende ist.« Etliche Minuten lang verbreitete er sich über die Nutzlosigkeit derartiger Kenntnisse, wobei er natürlich auf die spanische Inquisition und die »Verderbtheit der Klöster« zu sprechen kam. Dann: »Glaubst du, dass du in New York einer richtigen Arbeit nachgehen kannst – oder [28] hast du überhaupt vor zu arbeiten?« Letzteres mit leisem, fast unmerklichem Zynismus.
    »Aber ja, Sir.«
    »Wann wirst du fertig sein?«
    »Nun, erst muss ein Entwurf gemacht werden – allerhand vorbereitende Lektüre.«
    »Ich dachte, die hättest du schon zur Genüge hinter dich gebracht?«
    Das Gespräch bewegte sich ruckweise auf einen recht abrupten Abschluss zu, als Anthony aufstand, auf seine Uhr sah und vorgab, an diesem Nachmittag einen Termin bei seinem Börsenmakler zu haben. Er hatte vorgehabt, ein paar Tage bei seinem Großvater zu verbringen, doch von der stürmischen Überfahrt war er müde und gereizt und hatte keine Lust, eine hintergründige und scheinheilige Befragung über sich ergehen zu lassen. Er werde in ein paar Tagen wieder herauskommen, sagte er.
    Trotz alledem war dank diesem Zusammentreffen die Arbeit als bleibende Idee in sein Leben eingetreten. Im Laufe des Jahres, das seitdem verstrichen war, hatte er mehrere Listen mit den Namen von Fachautoritäten zusammengestellt, er hatte sogar mit Kapitelüberschriften und der Gliederung seiner Arbeit in Zeitabschnitte experimentiert, aber zur Stunde gab es weder eine wirklich hingeschriebene Zeile, noch hatte es den Anschein, als würde es sie jemals geben. Er tat nichts – doch der bestbeglaubigten Schulbuchlogik zuwider wusste er sich zu seiner mehr als nur durchschnittlichen Zufriedenheit Zerstreuung zu verschaffen.
    [29] Nachmittag
    Es war im Oktober 1913, auf halbem Wege durch eine Woche angenehmer Tage. In den Querstraßen lagerte der Sonnenschein, und die Atmosphäre war so träge, dass sie von den gespenstisch herabfallenden Blättern beschwert zu werden schien. Es war angenehm, müßig am geöffneten Fenster zu sitzen und ein Kapitel des Erewhon zu Ende zu lesen. Es war angenehm, gegen fünf Uhr zu gähnen, das Buch auf einen Tisch zu werfen und summend durch den Flur ins Bad zu schlendern.
    To… you… beaut-if-ul lady,
    sang er, während er den Hahn aufdrehte,
    I raise… my… eyes;
    To… you… beaut-if-ul la-a-dy
    My… heart… cries…
    Um gegen die Wasserflut anzusingen, die sich in die Wanne ergoss, erhob er die Stimme, und als er das Bild von Hazel Dawn an der Wand betrachtete, setzte er eine imaginäre Geige an die Schulter und liebkoste diese sanft mit einem gedachten Bogen. Mit geschlossenen Lippen machte er ein summendes Geräusch, von dem er sich einbildete, es entspreche in etwa dem Klang einer Violine. Einen Augenblick später stellten seine Hände ihre runden Bewegungen ein und wanderten zu seinem Hemd, das er aufzuknöpfen [30] begann. Ausgekleidet, warf er sich in athletische Positur wie der Tigerfellmann in der Werbung und musterte sich mit einiger Befriedigung im Spiegel. Dann unterbrach er sich dabei und planschte vorsichtig mit einem Fuß im Wasser. Daraufhin drehte er den Hahn zu und stieg ächzend in die Wanne.
    Nachdem er sich an die Temperatur des Wassers gewöhnt hatte, entspannte er sich in einem Zustand wohliger Schläfrigkeit. Nach dem Bad würde er sich gemächlich ankleiden und die Fifth Avenue hinunter zum Ritz laufen, wo er wie so oft mit seinen beiden Gefährten Dick Caramel und Maury Noble eine Verabredung zum Dinner hatte. Danach würden Maury und er ins Theater gehen – Caramel würde vermutlich nach Hause trotten und an seinem Buch arbeiten, das wohl ziemlich bald abgeschlossen war.
    Anthony war froh, dass er nicht an seinem Buch zu arbeiten brauchte. Die absurde Vorstellung, sich hinzusetzen und nicht nur Worte herbeizuzaubern, mit denen er Gedanken einkleiden konnte, sondern auch Gedanken, die es wert waren, in Worte eingekleidet zu werden – dies alles lag für ihn weit abseits allen Begehrens.
    Als er aus dem Bad gestiegen war, trocknete er sich mit der akribischen Hingabe eines Schuhputzers ab. Dann schlenderte er ins Schlafgemach und bummelte, eine seltsame, ungewisse Melodie pfeifend, hierhin und dorthin, knöpfte zu, rückte zurecht und genoss die Wärme des flauschigen Teppichs unter seinen Füßen.
    Er zündete sich eine Zigarette an und warf das Streichholz aus dem offenen Fenster, dann hielt er unvermittelt inne und ließ die Zigarette ein paar Zentimeter weit aus
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