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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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[31] dem leicht geöffneten Mund hängen. Sein Blick war an einem leuchtenden Farbfleck auf dem Dach eines Hauses weiter unten in der Gasse haftengeblieben.
    Es war ein Mädchen in einem roten Negligé, sicherlich aus Seide, das sich in der noch warmen Sonne des Spätnachmittags die Haare trocknete. In der stickigen Luft des Zimmers erstarb sein Gepfeife. Er trat vorsichtig einen Schritt näher ans Fenster, ganz überrascht von ihrer schönen Erscheinung. Vor ihr auf der steinernen Brüstung lag ein Kissen von derselben Farbe wie ihr Gewand; sie hatte beide Arme darauf gestützt und schaute auf den sonnigen Hof hinunter, wo Anthony Kinder spielen hörte.
    Er beobachtete sie mehrere Minuten lang. Etwas in ihm war wachgerüttelt, etwas, das sich weder dem warmen Duft des Nachmittags noch der aufsehenerregenden Lebhaftigkeit des Rots verdankte. Er empfand das Mädchen als wirklich schön – dann begriff er plötzlich: Es war der Abstand, kein rarer und kostbarer Abstand der Seele, aber doch ein Abstand, wenn auch nur in irdischen Metern. Zwischen ihnen lagen die Herbstluft und die Dächer und die verwischten Stimmen. Und dennoch, eine nicht ganz erklärliche, wundersam in der Schwebe hängende Sekunde lang war seine Empfindung der Anbetung näher gewesen als im tiefsten Kuss, den er je ausgekostet hatte.
    Er kleidete sich fertig an, fand eine schwarze Frackschleife und zog sie vor dem dreiteiligen Badezimmerspiegel sorgfältig zurecht. Dann ging er, einem Impuls nachgebend, rasch in sein Schlafgemach und sah wieder aus dem Fenster. Die Frau stand jetzt aufrecht; sie hatte ihr Haar zurückgeschüttelt, und er hatte sie direkt vor Augen. Sie [32] war dicklich, volle fünfunddreißig und höchst durchschnittlich. Er schnalzte mit der Zunge, ging wieder zurück ins Badezimmer und zog sich einen neuen Scheitel.
    To… you… beaut-if-ul lady,
    sang er leichthin,
    I raise… my… eyes…
    Dann, mit einem letzten wohltuenden Bürstenstrich, der eine irisierende Fläche reinen Glanzes hinterließ, trat er aus dem Badezimmer und aus seinem Apartment und ging die Fifth Avenue hinunter zum Ritz-Carlton.
    Drei Männer
    Um sieben sitzen Anthony und sein Freund Maury Noble an einem Ecktisch auf dem kühlen Dach. Maury Noble gleicht einem großen, schlanken, imposanten Kater. Seine Augen sind schmal und zwinkern unaufhörlich und ausdauernd. Sein Haar liegt glatt an, als sei es von einem gewaltigen Muttertier abgeleckt worden. Während Anthonys Jahren in Harvard galt er als äußerst ungewöhnliche Figur, als einfallsreichster und originellster Kopf seines Jahrgangs – gescheit, verhalten, einer der Erwählten.
    Dies ist der Mann, den Anthony als seinen besten Freund ansieht. Unter all seinen Bekannten ist er der einzige, den er bewundert und mehr, als er sich eingestehen will, beneidet.
    [33] Jetzt sind sie froh, sich zu sehen – ihre Augen blicken freundlich, da jeder von ihnen nach einer kurzen Trennung den vollen Reiz des Neuen verspürt. Aus der Gegenwart des anderen schöpfen sie Erholung, eine neue Heiterkeit; Maury Noble schnurrt beinahe hinter seinem feingeschnittenen und lächerlich katzenhaften Gesicht. Und Anthony, rastlos wie ein Irrlicht, nervös – jetzt findet er Ruhe.
    Sie sind in eines jener unbeschwerten, abgerissenen Gespräche vertieft, wie nur Männer unter dreißig oder Männer unter großer Anspannung sie sich leisten können.
    ANTHONY Sieben Uhr. Wo steckt diese Karamelle bloß? ungeduldig Ich wünschte, er würde diesen nicht enden wollenden Roman beenden. Ich habe mehr Zeit mit Hungern zugebracht…
    MAURY Er hat einen neuen Namen dafür. Der dämonische Liebhaber – nicht schlecht, was?
    ANTHONY interessiert. Der dämonische Liebhaber? O wehklagend das Weib für seinen dämonischen Liebhaber – nein, gar nicht schlecht! Ganz und gar nicht schlecht – das meinst du doch auch?
    MAURY Ja sicher. Um wie viel Uhr, hast du gesagt?
    ANTHONY Um sieben.
    MAURY Seine Augen verengen sich – nicht unangenehm, aber um leichte Missbilligung auszudrücken. Hat mich neulich zur Weißglut gebracht.
    ANTHONY Wie?
    MAURY Diese Angewohnheit, sich Notizen zu machen.
    ANTHONY Mich auch. Anscheinend hatte ich am Abend vorher was gesagt, das er wichtig fand, aber er hatte’s vergessen – und da hat er mich angegiftet. Sagt: »Kannst du [34] nicht versuchen, dich zu konzentrieren?« Und ich sage: »Du langweilst mich zu Tode. Wie soll ich mich daran erinnern?«
    MAURY lacht geräuschlos, wobei er sein Gesicht höflich
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