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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Umlegekragen waren am Adamsapfel eingekerbt. Sie hatten graue Gamaschen um und trugen über den Griffen ihrer Spazierstöcke graue Handschuhe.
    Vorbei kam eine verwirrte alte Dame, wie ein Korb mit Eiern entlanggetragen von zwei Männern, die ihr die Wunder von Times Square verkündeten – sie so rasch erläuterten, dass die alte Dame in dem Versuch, sich interessiert zu zeigen, ihren Kopf hierhin und dorthin drehte wie eine vom Wind geschüttelte alte Orangenschale. Anthony schnappte einen Gesprächsfetzen auf:
    »Das ist das Astor, Mama!«
    »Sieh nur! Schau dir die Reklame mit dem Streitwagenrennen an…«
    »Da waren wir heute. Nein, da !«
    »Du meine Güte!«
    »Ist doch piepe, komm, beweg dich, Zeit ist Geld.« In dem, was einem der beiden Paare an seiner Seite da so schrill entfuhr, erkannte Anthony die Redensart des Jahres wieder.
    [41] »Da sag ich zu ihm, sag ich…«
    Neben ihm das sanfte Geschiebe der Droschken und Gelächter, Gelächter, so heiser wie das einer Krähe, unaufhörlich und laut, unter ihm das Rumpeln der Untergrundbahn und über allem die Drehungen der Lichter, das Aufblitzen und Verlöschen von Licht – Licht, das sich wie Perlen teilte, sich immer wieder aufs Neue formte in funkelnden Streifen und Kreisen und abscheulich grotesken Figuren, aufs erstaunlichste in den Himmel geschnitten.
    Dankbar bog er in die Stille ein, die wie ein dunkler Wind aus einer Querstraße wehte, und kam an einer Bäckerei mit Imbiss vorbei, in dessen Fenstern sich ein Dutzend Grillhähnchen an einem automatischen Spieß drehte. Aus der Tür drang ein Geruch – heiß, teigig und rosig. Als Nächstes ein Drugstore, der einen Gestank nach Medizin und verschüttetem Sodawasser nebst einer angenehmeren Duftnote von der Kosmetikabteilung verströmte; sodann eine immer noch geöffnete chinesische Wäscherei, dampfig und drückend, die nach Gemangeltem und irgendwie gelb roch. All das deprimierte ihn; als er zur Sixth Avenue kam, betrat er ein Zigarrengeschäft an der Ecke und tauchte besser gelaunt wieder auf – der Zigarrenladen war heiter, Menschheit in marineblauem Dunst beim Kauf eines Luxusguts…
    Als er wieder in seinem Apartment war, setzte er sich im Dunkeln ans offene Vorderfenster und rauchte eine letzte Zigarette. Zum ersten Mal seit einem Jahr genoss er New York in vollen Zügen. Die Stadt zeichnete sich durch eine seltene Schärfe aus, eine fast südliche Qualität. Freilich war es eine einsame Stadt. Er, der allein aufgewachsen war, hatte neuerdings gelernt, die Einsamkeit zu fliehen. Während der [42] vergangenen Monate war er, wenn er für den Abend keine Verabredung hatte, jeweils in einen seiner Klubs gehastet, um jemanden zu finden. O ja, hier gab es Einsamkeit…
    Seine Zigarette, deren Rauch die schmalen Vorhangfalten mit einem Rand schwachen weißen Dunstes säumte, glühte weiter, bis die Turmuhr von St. Anne’s weiter hinten in der Straße mit modisch missmutiger Eleganz eins schlug. Die Hochbahn, einen ruhigen halben Block entfernt, klang wie ein Trommelwirbel – und wenn er sich aus dem Fenster lehnte, konnte er den Zug sehen, der wie ein zorniger Adler auf die dunkle Kurve an der Ecke zubrauste. Er musste an einen phantastischen Abenteuerroman denken, den er unlängst gelesen hatte und in dem Städte von Schwebebahnen aus bombardiert worden waren, einen Augenblick lang bildete er sich ein, Washington Square habe Central Park den Krieg erklärt und sei eine nach Norden vorrückende Gefahr, die mit Schlachtengetümmel und Toten enden werde. Doch als die Bahn vorüberfuhr, verblasste die Illusion, schwächte sich ab zu verhaltenem Trommelklang – und dann zu einem Rauschen ferner Adlerschwingen.
    Von der Fifth Avenue drangen fortwährend Geklingel und der verschwommene Klang gedämpfter Autohupen herüber, doch in seiner eigenen Straße herrschte Stille, hier drinnen war er geborgen vor all den Bedrohungen des Lebens, denn hier war seine Tür, war der langgestreckte Flur und sein schützendes Schlafgemach – geborgen, geborgen! Die Bogenlampe, die in sein Fenster leuchtete, erschien um diese Stunde wie der Mond, nur heller und schöner als der Mond.
    [43] Rückblende ins Paradies
    SCHÖNHEIT , die alle hundert Jahre wiedergeboren wurde, saß im Freien in einer Art Wartesaal, durch den weiße Windstöße wehten und gelegentlich, in atemloser Eile, ein Stern. Die Sterne zwinkerten ihr im Vorübergleiten vertraulich zu, und die Winde zausten ihr sanft das Haar. Sie war unergründlich,
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