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Die Schönen und Verdammten

Die Schönen und Verdammten

Titel: Die Schönen und Verdammten
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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gebräuntes Gesicht hatte das ängstliche Aussehen des Erstsemesters verloren. Insgeheim war er sehr ordnungsliebend und wirkte wie aus dem Ei gepellt – seine Freunde behaupteten, sein Haar noch nie zerzaust gesehen zu haben. Seine Nase war zu spitz, sein Mund einer jener unglücklichen Spiegel der Befindlichkeit, die dazu neigen, sich in Augenblicken der Unzufriedenheit merklich nach unten zu verziehen; seine blauen Augen aber waren bezaubernd, ob nun hellwach und aufmerksam oder aber, in schwermütiger Stimmung, halb geschlossen.
    Wiewohl ein Mann, dem es zum arischen Ideal am wesentlichen Ebenmaß der Gesichtszüge fehlte, galt er doch hier und da als gutaussehend – überdies war er, der Erscheinung nach und in Wirklichkeit, sehr reinlich, und zwar von jener besonderen Reinlichkeit, die von der Schönheit borgt.
    [20] Das makellose Apartment
    Fifth und Sixth Avenue, so kam es Anthony vor, waren die Holme einer gigantischen Leiter, die sich vom Washington Square bis zum Central Park in die Wohnviertel erstreckte. Wenn er auf dem Oberdeck eines Omnibusses zur 52. Straße fuhr, hatte er unweigerlich das Gefühl, er hangele sich Hand über Hand an einer Reihe tückischer Sprossen hoch, und wenn der Bus ruckend an seiner eigenen Sprosse hielt, empfand er so etwas wie Erleichterung, da er die gefährlichen Metallstufen hinabstieg und auf den Bürgersteig trat.
    Danach brauchte er die 52. Straße nur noch einen halben Block weit hinunterzulaufen, vorbei an einem langweiligen Ensemble rötlichbrauner Sandsteinhäuser – und im Nu befand er sich unter der hohen Decke seines geräumigen Vorderzimmers. Das war wirklich sehr angenehm. Schließlich fing hier das Leben an. Hier schlief er, frühstückte, las und bewirtete Gäste.
    Das Haus selbst, Ende der neunziger Jahre erbaut, war aus dunklem Stein; um die ständig wachsende Nachfrage nach kleinen Apartments stillen zu können, war jedes Stockwerk von Grund auf umgebaut und einzeln vermietet worden. Von den vier Apartments im zweiten Geschoss war Anthonys das reizvollste.
    Das Wohnzimmer wies eine schöne hohe Decke und drei große Fenster auf, die erfreulicherweise auf die 52. Straße hinunterblickten. Was die Einrichtung anbetraf, so war jeder besondere Zeitgeschmack glücklich vermieden; vermieden waren Steifheit, Spießigkeit, Kahlheit und Dekadenz. Es roch weder nach Zigarettenqualm noch nach Weihrauch– [21] es war groß und hatte etwas Bläuliches. Da stand eine tiefe Chaiselongue von weichstem braunem Leder, umweht von Schläfrigkeit wie von einem Dunstschleier. Da war ein hoher Paravent aus chinesischem Lack, auf dem vor allem geometrisch geformte Fischer und Jäger in Schwarz und Gold dargestellt waren; dieser bildete einen Alkoven für einen voluminösen Sessel, bewacht von einer orangefarbenen Stehlampe. Das gevierte Wappenschild im Innern des Kamins war zu einem düsteren Schwarz verkohlt.
    Durchschritt man das Esszimmer, das Anthony lediglich für sein Frühstück benutzte, aus dem man aber etwas Prunkvolles hätte machen können, und einen verhältnismäßig langgestreckten Flur, so gelangte man zum Kern und Herzen des Apartments – Anthonys Schlafgemach und Badezimmer.
    Beide waren enorm. Unter der Decke des Ersteren nahm sich selbst das große Himmelbett nur mittelmäßig aus. Der exotische Bettvorleger aus karmesinrotem Samt fühlte sich unter Anthonys bloßen Füßen weich wie ein Vlies an. Im Gegensatz zu dem Bombast seines Schlafgemachs wirkte sein Badezimmer fröhlich, hell und überaus wohnlich, gar verspielt. An den Wänden hingen die gerahmten Fotografien von vier zu jener Zeit gefeierten thespischen Schönheiten: Julia Sanderson als »The Sunshine Girl«, Ina Claire als »The Quaker Girl«, Billie Burke als »The Mind-the-Paint-Girl« und Hazel Dawn als »The Pink Lady«. Zwischen Billie Burke und Hazel Dawn hing ein Druck, der eine große Schneelandschaft zeigte, über welcher eine kalte, furchteinflößende Sonne thronte – dies, behauptete Anthony, versinnbildliche die kalte Dusche.
    [22] Die mit einem raffinierten Lesepult versehene Badewanne war niedrig und ausladend. Der Wandschrank daneben war mit Bettwäsche vollgestopft, die für drei Männer ausgereicht hätte, und mit einer ganzen Kollektion Krawatten. Die Brücke war nicht etwa ein dürftiges besseres Handtuch, sondern ein kostbarer Teppich, wie jener im Schlafgemach ein Wunder an Weichheit, das den nassen Fuß, der der Wanne entstieg, beinahe zu massieren schien…
    Alles in
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