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Die schoenen Muetter anderer Toechter

Die schoenen Muetter anderer Toechter

Titel: Die schoenen Muetter anderer Toechter
Autoren: Miriam Muentefering
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auf einem Markt befand. Ein Markt, auf dem Träume und Wünsche ebenso feilgeboten wurden wie Versprechungen.
    Und wie ich zu träumen begann! Ich vergaß alles um mich herum. Wegen meines unzureichenden Kleidungszustandes immer in ängstlich eingehaltenem Abstand zu ihr, ließ ich sie nicht aus den Augen, konnte mich nicht sattsehen an ihrem warmen, glimmenden Blick unter dichten schwarzen Wimpern, ihrem ungeschminkten, schön geschwungenen Mund, der ständig leicht zu lächeln schien. Wie alt mochte sie sein? Wie jung, sollte ich besser fragen. Auf alle Fälle war sie viel zu jung für mich. Vielleicht hatte Ellen, die sich nur hin und wieder bei mir blicken ließ und sich keine spöttische Bemerkung verkniff, recht, und meine Angebetete ging gar noch zur Schule? Ein paar Mal war ich aufgrund solcher und ähnlich frustrierender Gedanken drauf und dran, einfach den Schwof zu verlassen: mich zu Hause ins Bett legen, am nächsten Tag sechs Stunden spazieren gehen, auf die Alm zurückziehen. Aber etwas hielt mich zurück wie eine Fußfessel. Ich hatte Blei in den Beinen und konnte mich einfach nicht vom Fleck bewegen.
    Es war nicht nur ihre Schönheit, und schön war sie ganz unübersehbar. Sie hatte etwas, das mich regelrecht erschütterte. Ich erkannte in ihr eine unschuldige Verletzbarkeit, die mich rührte und Wogen von Zärtlichkeit über mich hinwegbranden ließ. Sie wirkte so ganz und gar unverbraucht von unserer manchmal leider recht engen Welt. Deswegen lächelte ich über ihre leicht zu durchschauenden Taktiken, nicht allein dumm herumzustehen: Sie las dreimal den überall ausgelegten Flyer zu einem weiteren Schwof und siebenmal einen Infozettel zum aktuellen Kinoprogramm. Nur manchmal, in Augenblicken, die mir innerhalb von Sekunden Schweiß aus allen Poren trieben, schimmerte durch diese so erfrischend naive Erscheinung etwas hindurch, das ich nur als abgrundtief weiblich und verführerisch bezeichnen kann. Eine Femme fatale, so wie Jackie die Frau in ihrem Traum erklärt hatte.
    Ich starrte dieses Wunder an und wurde durch ihren Anblick von Dr. Jekyll zu Mrs. Hyde: Bilder traten vor meine Augen, wie Fotos und Filmaufnahmen von diesem Körper, der sich über ein helles Laken spannte. Berührungen, die in Blitzen endeten. Ich war extrem beunruhigt, denn scheinbar ging in dieser Liebesgeschichte nichts die von mir gewohnten Wege. Ich hatte noch kein einziges Wort mit ihr gewechselt und dachte schon über Hormone nach. Wäre ich etwa weitere fünfzehn Jahre älter, hätte ich alles auf die einsetzenden Wechseljahre geschoben. Aber so? Ich war machtlos gegen den Wunsch, sie zu berühren, ihren Augen zu begegnen, ihre Stimme zu kennen.
    Als sie schließlich ging, weit vor Ablauf des Tanzabends, folgte ich ihr in einigem Abstand zum Parkplatz. Ich schlenderte auf ihrer Spur und stellte mir vor, meine Füße dorthin zu setzen, wo ihre gerade noch den Boden berührt hatten. Ihre Silhouette vor mir, ging ich den von vielen Lesbenfüßen ausgetretenen Weg entlang, den ich schon so oft gegangen war. Alles war anders. Jedes Mal, wenn sie in den Lichtkegel einer Straßenlaterne geriet, hielt ich kurz inne und versuchte, mir einzuprägen, wie ihr Haar fiel, wie sie die Füße setzte, wie sie beim Gehen die Hände vor und zurück schwang. Selbstverständlich war dies Karma. Aber falls dem Schicksal doch ein Irrtum unterlaufen sollte und wir uns vielleicht nie wiedersehen würden, wollte ich doch so viel wie möglich in meiner Erinnerung behalten. Schließlich stieg sie in ein winziges weißes Auto und startete bereits den Motor, als mir etwas Entscheidendes einfiel: das Kennzeichen!
    Die Ruhrgebietsschwofs hatten ein großes Einzugsgebiet. Frauen aus dem Sauerland, aus Unna, Dortmund, Bochum, Essen, Recklinghausen und dem weiteren Umkreis besuchten diese Veranstaltungen. Ein Blick auf ihr Kennzeichen würde mir also zumindest verraten, aus welcher Stadt sie stammte. Die Abkürzung durch die kleine Hecke am Parkplatz erwies sich als einzige Chance, noch einen Blick auf den Wagen werfen zu können, bevor sie auf und davon fuhr. Ich sah mich einmal rasch um, ob auch niemand meine kleine Verfolgungsaktion beobachten könnte, und rannte los. Fast hätte ich im Laufen gelacht, denn nichts war alberner, als wegen eines Autokennzeichens derart außer Puste zu geraten.
    Schon sah ich die Scheinwerfer über den Parkplatz huschen. Sie legte ein ganz schönes Tempo vor. Ich brauchte nur noch wenige Meter. Da stand plötzlich ein
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