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Die schoenen Muetter anderer Toechter

Die schoenen Muetter anderer Toechter

Titel: Die schoenen Muetter anderer Toechter
Autoren: Miriam Muentefering
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ich, dass sie heimgefahren und sofort ins Bett gegangen war.
    Ellen schüttelte den Kopf.
    »Das würde ich mir an deiner Stelle noch mal verdammt gut überlegen, bevor ich sie anspräche!«, mahnte sie mich.
    »Aber siehst du denn nicht …?«, begann ich. Und hatte keine Worte. Ich sehe was, was du nicht siehst , fiel mir ein. Ein Kinderspiel, das plötzlich eine ungeahnte Bedeutung bekam.
    »Ich sehe nur, dass sie wahrscheinlich noch nicht lange auf die Schwofs geht und daher der Meinung ist, alle sähen zu ihr hin. Weiterhin sehe ich, dass sie sich wahrscheinlich für schicke Klamotten interessiert – hoffentlich ist das nicht das Einzige. Und ich sehe, dass sie wahrscheinlich gerade ihr Abi macht«, grunzte Ellen. Sie machte einen gekränkten Eindruck. Vielleicht hatte sie sich ihre Nachfolgerin würdiger vorgestellt.
    Doch statt von ihren Worten abgeschreckt zu werden, hatten ihre Vorbehalte eine ganz andere Wirkung auf mich: Mir wurde schlagartig klar, dass ich ein bunt geringeltes, verwaschenes T-Shirt trug und an der Jeansjacke ein Knopf fehlte.
    »O Gott!«, stöhnte ich. »Ellen! Ich sehe aus, als hätte ich kein Zuhause. Und wenn, dann steht darin kein Kleiderschrank. Ich kann doch so nicht …!«
    Meine Turnschuhe! Ich trug diese wirklich ausgelatschten und megaouten Turnschuhe, bei deren Anblick jede attraktiv gekleidete Frau bestenfalls lachen würde, bevor sie ungläubig an den dazugehörigen Beinen hinaufsehen würde. Ich war so unvorteilhaft gekleidet, wie es nur gerade ging. Meine Augen waren vollkommen ungeschminkt, nicht einmal ein einfacher Lidstrich verschönerte die dreißigjährige Erscheinung, von exquisitem Lippenstift oder gar betörendem Parfüm mal ganz zu schweigen. Ich konnte sie in meinem desolaten Zustand unmöglich ansprechen!

Z WEITES K APITEL
Zu jung ist ein Fehler,
der sich täglich bessert
    W enn meine Oma früher mit dem Bus und dem Zug in die nächstgrößere Kirchenstadt fuhr, verglich sie das immer mit einer Fahrt nach Lourdes. Mich faszinierte das, denn ich stellte mir vor, dass es in vielen Städten außerhalb unseres Kuhdorfes von weinenden Madonnenstatuen und blutenden Christusfiguren am Kreuze nur so wimmelte.
    Was mir stark im Gedächtnis blieb, war diese sonderbare Verklärtheit, die meine Großmutter noch Wochen nach diesen sagenhaften Pilgerfahrten zeigte. Die sonst so energische Frau war außergewöhnlich sanft und träumte mitten am Tag vor sich hin.
    Als ich am Morgen nach dem Schwof am Frühstückstisch saß, kam mir plötzlich die Idee, dass Oma gar nicht in diverse Kirchen pilgerte, sondern regelmäßig bei einem ungewöhnlich fähigen Liebhaber zu Gast gewesen war. Falls Oma die Fähigkeit besitzt, mich aus dem Jenseits noch zu hören und vielleicht sogar meine Gedanken zu lesen, würde sie sich sicher bekreuzigen und dann in Ohnmacht fallen. Dabei verglich ich sie nur mit meinem eigenen Zustand, der, bestückt mit verklärten Träumereien, einer Erleuchtung durch Rosenkranzbeten gewiss in nichts nachstand.
    Ich hatte kaum Schlaf bekommen. Zunächst war ich die halbe Nacht hinter der Unbekannten hergeschlichen und hatte SIE beobachtet. So musste ich es leider nennen – auch wenn ich mir dabei vorkam wie meine Oma, die eine heilige Reliquie nur mit dem der Ehrfurcht gebührenden Abstand bestaunte. SIE war allein da und schien niemanden zu kennen. Zumindest sprach sie mit keiner und wechselte mit keiner lange Blicke. Das beruhigte mich ein bisschen, wenn auch nicht völlig, denn sie war eindeutig aus einem ganz bestimmten Grund hier.
    Ich hatte nach zehn Jahren Szeneleben ein untrügliches Gespür dafür entwickelt, welche von den Frauen zum Tanzen und Lachen, welche zum Flirten und Schäkern und welche zum Suchen und Finden gekommen waren. SIE war hier, um gefunden zu werden. Sie wirkte schüchtern, und doch musste sie jeder auffallen, wie sie sich da am Rand der Tanzfläche präsentierte. Anmutig, doch scheinbar selbstvergessen ließ sie ihre Finger über den Glasrand gleiten, wiegte sich sacht im Takt der Musik. Manchmal ging ein kaum wahrnehmbarer Ruck durch ihren Körper, wenn ihr ein Lied besonders gut gefiel. Dann stellte sie ihr Glas zur Seite und schlich sich durch die Frauenkörper, um sich am Rand der Tanzfläche zu Balladen zu wiegen. Erst nach einigen Tänzen war sie mutig genug, um sich in die Mitte der Tanzfläche zu wagen, wo die bunten Discolights die Gesichter all jener erhellten, die sich gern zur Schau stellten. SIE wusste, dass sie sich
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