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Die schoenen Muetter anderer Toechter

Die schoenen Muetter anderer Toechter

Titel: Die schoenen Muetter anderer Toechter
Autoren: Miriam Muentefering
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gleichzeitig ein Lichtfinger aus der Decke fällt und wie ein Spot auf ihrem Gesicht klebt? Wenn die Musik mit einem Mal vom Krach zu einem Flüstern wird? Wenn alle Bewegungen zu einem Einerlei verschwimmen und nur ihre Schritte, ihre Hand, die nun zu einem Glas greift, wie in Zeitlupe sich ins Herz brennen, heiße Spuren hinterlassend? Was denken? Was fühlen, wenn dort plötzlich die Frau steht, auf die zu warten es sich ein Leben lang lohnt?
    Jackie merkte überhaupt nichts von dem einsetzenden Erdbeben, sondern diskutierte mit sich selber über verschiedene bewährte Methoden der Annäherung an Madame Latzhose. Doch Ellen, die, immer noch amüsiert über Jackie, grinsend von den Büchern aufsah, hielt verwundert inne und folgte meinem Blick.
    Keine Ahnung, was sie sah. Das, was ich sah, war ausschlaggebend: Sie war wunderbar. Ihre dunklen Haare fielen weich auf ihre runden Schultern. Ein ebenholzfarbener Rahmen um ihr zart leuchtendes Gesicht, das so frisch und unverbraucht strahlte, dass ich eine kühle Brise zu spüren glaubte. Ihre angespannte Körperhaltung und ihr Blick verrieten, dass sie sich wohl verlaufen haben musste. Wo bin ich nur? Wie bin ich hierher geraten? Und will ich überhaupt hier bleiben?
    Sie bewegte sich vorsichtig wie ein scheues Tier und hielt den klassisch schönen Kopf aufmerksam aufrecht. Ihr Hals war eine Einladung zur Liebkosung. Ihr Profil hätte ich mir mühelos auf einer edlen Gemme vorstellen können. Und wie konnte eine ungeschminkte Frau so lange schwarze Wimpern haben? Darüber waren die dichten dunklen Brauen fortwährend in Bewegung, als führe sie stille Zwiesprache mit sich selbst. Gefällt es mir hier? Ach, ich weiß nicht. Die Leute sind alle so … seltsam. Aber nett ist es schon. Ich könnte es vielleicht am Ende doch mögen. Oder? Ach, weiß nicht … Alles ist so neu, neu, neu!
    Sie sah auf die Tanzfläche, während ihre Lippen … oh, ihre Lippen … zart den Glasrand berührten und einen kleinen Schluck nahmen, als sei es Nektar. Alles an ihr war rund und weich, zart und verführerisch. Wenn mein Kindheitstraum endlich in Erfüllung ginge und wir einander Namen geben würden, wie die Indianer es taten, nach Wesen und besonderen Eigenarten, dann würde ich sie ›Leuchtender Anfang‹ nennen. Sie sah aus, als begänne sie das Leben. Und mit ihr begann auch wieder meines …
    Ich konnte es nicht glauben, diese Erscheinung hier zu finden, inmitten eines Haufens dahergelaufener Großstadtlesben, wie ich auch eine war. O Göttin. Ich war ja nicht anders als all die anderen. Ich war einmal zu Hause gewesen in diesen Räumen, unter diesen Menschen. Jahrelang hatte es mir wie eine Familie angehaftet, und ich hatte Spielregeln befolgt, war eine von ihnen gewesen. Mit Coolness und notfalls erzwungener Ausgelassenheit, zwanghaft produzierter guter Laune und Saturday-Night-Fever. Doch sie, das erkannte ich genau, war noch nicht gefangen genommen von diesem Treiben und den sonderbaren Ritualen. Sie kannte sich noch nicht aus im Lächeln und Flirten und dem Showbusiness der Lesbenszene. Was würde sie denken, wenn sie … Und da wandte sie sich um und sah direkt zu mir her. Kein Zögern, kein Zweifeln. Das konnte kein Zufall sein. Unsere Blicke trafen sich in einem kurzen Moment, der meinen Herzschlag aussetzen ließ.
    Ich kannte Augen. Die Mehrheit der Menschen besitzt zwei davon. Sie sitzen etwas oberhalb der Gesichtsmitte, rechts und links über der Nase. Sie konnten blau, grün, grau oder blau sein oder in einem Zwischenton schimmern. Das war alles nichts Besonderes. Aber wie konnte es solche Augen geben?
    Sie waren schwarz. Schwarz wie ein polierter, durch Sonnenstrahlen erwärmter Edelstein. Augen zum Hineinstürzen. Sie waren Brunnen, auf deren Grund heilige Wasser schwammen, auf deren Grund Schätze lagen. Es galt nur zu tauchen …
    Sie drehte sich wieder fort. Noch wenige Sekunden lang konnte ich ihren Hinterkopf durch die Menge sehen, wie er sich immer weiter von mir entfernte. Dann war sie verschwunden.
    Ich erschauderte. So etwas war mir noch nie passiert. Es war unheimlich und erschreckend. Eine Begegnung wie aus einer anderen Welt.
    »Ellen«, rief ich gegen die Musik an, die plötzlich wieder in normaler Lautstärke dröhnte. »Hast du sie auch gesehen?«
    Ellen deutete Richtung Café, sich offensichtlich nicht bewusst, was soeben geschehen war.
    »Die Dunkelhaarige da drüben?«
    Ich starrte sie an. Wie viel wusste sie von mir? Und was wusste schon Jackie, die
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