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Die schoenen Muetter anderer Toechter

Die schoenen Muetter anderer Toechter

Titel: Die schoenen Muetter anderer Toechter
Autoren: Miriam Muentefering
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da ja weniger.«
    Der Himmel war satt blau gewesen, und am Horizont zeichnete sich schon der zarte Streifen Apricot ab, der nur im Sommer über der schwarzen Silhouette der Bäume steht. Ellen hatte den Sonnenuntergang am See betrachten wollen. Sie war melancholisch, weil frisch getrennt von ihrem Freund und auf der Suche nach etwas anderem, etwas geradezu Gegensätzlichem … Als ihr meine Frisbeescheibe an die Schläfe knallte, schwanden ihr für einige wenige Sekunden die Sinne. Diese kehrten jedoch rasend schnell zurück, als ich mich besorgt über sie beugte und sie in meine, wie sie es später nannte, sanften Rehaugen blickte. Ich sah meinerseits in ihre blauen, strahlenden, in diesem Augenblick leicht verwirrten und war verloren. Das war romantisch gewesen. Ganz anders als diese Atmosphäre von Tschakatschakabängbäng, die uns jetzt aus der überfüllten Discohalle entgegenbollerte.
    »Na, dann viel Glück!«, rief ich Jackie gegen den Krach um uns herum zu, als wir den Eingang passiert hatten. Jackie war bereits auf dem Weg zur Treppe, um sich oben auf der Empore einen Überblick über das Gedränge zu verschaffen. Es war seit Jahren immer das Gleiche: Von dort oben würde sie hinuntersehen auf die Tanzfläche, wo sich dicht gequetscht zig Frauen im Rhythmus der Musik wiegten. Wie sie in diesem Gewimmel noch den gepriesenen, ganz besonderen Tanzstil der favorisierten Frau dieses Abends erkennen konnte, war mir schleierhaft. Für mich bestand die Masse aus einem einzigen Gehopse.
    Klar. Ich konnte mich noch gut daran erinnern, dass das mal anders war. Mit Anfang bis Mitte zwanzig, zu meinen Szene-hochzeiten, war auch ich zuerst auf die Empore gestürzt, hatte nach neuen Gesichtern gelechzt und meine Augen überall gehabt. Aber seit ich gelernt hatte, auf der Alm zu sein, war mir dieses zweifelhafte Können irgendwie abhanden gekommen. Es war mir auf eine beruhigend überhebliche Weise egal.
    Und so schob ich mich in meiner pupsnormalen Jeansjacke, die schon nach wenigen Augenblicken in diesem Brutkasten viel zu warm war, durch die Menge Richtung Büchertisch. Vielleicht gab es ja die eine oder andere Neuerscheinung. Ich hatte mal wieder Lust auf eine fesselnde Biografie.
    Als ich mich dem Stand näherte, fiel mir jedoch als Erstes etwas sehr Vertrautes ins Auge …
    »Hallo, Michelin. Was tust du denn hier? Hast du dich verlaufen?« Ellen lächelte mich an.
    Ich weiß noch, was für ein beeindrucktes Gesicht sie machte, als sie meinen Namen das erste Mal hörte, damals am See. Allen, die Michelin Schwarz heißen, sind Witze über »heiße Reifen« nicht unbekannt. Aber genau so einen brachte Ellen nicht. Sie brachte selten das, was man von ihr erwartete. In diesem Fall war das allerdings eine echte Gnade.
    Jetzt breitete sie die Arme aus und umarmte mich. Sie hat dabei immer die richtige Zeitspanne raus. Sie umarmt mich so lange, dass ich mich jedes Mal ihres Körpers erinnere und Wärme auf vertraute Weise zwischen uns zu fließen beginnt. Und sie umarmt mich so kurz, dass wir anschließend einander ohne eine Spur von der Verlegenheit ins Gesicht blicken können, wie man sie bei Verflossenen immer wieder beobachten kann.
    »Jackie ist schuld. Sie ist sicher, dass es heute Abend passiert.«
    »Oh, da müssen wir uns ja in Acht nehmen«, sagte Ellen, die vor Jahren einmal in Jackies Träumen als blonde Prinzessin erschienen war, lächelnd. Und sie hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit einer Prinzessin. Jedenfalls mit einer, wie wir sie uns vorstellen, wenn wir sieben Jahre alt sind und noch fest mit verzauberten Kavalieren im Froschkostüm rechnen.
    Ellen besaß das, was ich als liebliche Erscheinung bezeichnen würde. Sie war ein heller Typ mit Pfirsichhaut und immer leicht geröteten Wangen. Selbst ihre Augenbrauen waren hellblond und mussten ebenso wie ihre Wimpern in atemberaubenden Torturen regelmäßig dunkler gefärbt werden, weil Ellen stets wenig lieblich erklärte, sie wolle nicht wie ein Albino rumlaufen. Insgesamt wirkte sie mit ihrer meist pastellfarbenen Kleidung und den leuchtenden Haarbändern, mit denen sie den Eindruck erweckte, ihre inzwischen hüftlangen Locken seien nur schwer zu bändigen, wie eine himmlische Erscheinung auf die meisten Frauen.
    Sie bewegte sich langsam und träumerisch, als könne sie es sich leisten, nicht in Hektik auszubrechen: Sie war es gewohnt, umschwärmt, umworben und betüdelt zu werden. Und das konnte sie für ihre Beziehungspartnerin auf Dauer zu einer recht
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