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Die Schöne und der Tod (1)

Die Schöne und der Tod (1)

Titel: Die Schöne und der Tod (1)
Autoren: Bernhard Aichner
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geschlafen, nach vier Stunden lag er wieder wach, drehte sich hin und her, hörte Baronis Schnarchen. Dann ging er nach unten und begann zu graben. Um acht kam Dennis. Er befestigte die Schalung, die Erde war am Fußende des Grabes etwas eingebrochen, die Bretter, die sie zurückhalten sollten, hatten sich gelöst. Dennis und Max wortlos.
    Wie die Erde nach oben fliegt. Wie die Schaufel wütend nach oben und unten geht, wie sie in die Erde eintaucht, wie er sie weit nach oben wirft. Dennis verkeilt die Bretter, drückt, schiebt, er weiß, was er zu tun hat, Max hat ihm alles beigebracht. Max gräbt. Dass der Junge da ist, stört ihn, er möchte das Grab alleine graben, er möchte seine Ruhe. Aber er sagt nichts, lässt Dennis seine Arbeit machen, der Junge kann nichts dafür. Dass Marga tot ist. Dass Emma in seinem Bett liegt. Wortlos graben sie. Margas Grab.
    Max schwitzt. Er steht in einem Loch und schaufelt. Er will nicht an sie denken, er will sie aus seinem Kopf haben. Emma, Schaufel für Schaufel. Er will nüchtern sein, wenn er hinaufgeht zu ihr, wenn er mit ihr redet. Er hat Angst davor, vor ihr, vor ihrem Lachen, vor der Erinnerung, die nach oben kommt wie Erde, Angst vor seinem Herzen, das wieder weh tun könnte, das bereits zu schreien begonnen hat, als sie in der Tür stand am Vortag. Max gräbt tiefer, er will verschwinden, tief unten liegen bleiben, still. Damit sie ihn nicht sehen, ihn nicht finden kann.
    Dennis schraubt die Zwingen fest, presst die Bretter gegen die Erde, schalt. Max, wie er ihn kurz anlächelt, seinen Kopf zur Seite dreht und in das junge, stille Gesicht schaut. Wie Dennis das Lächeln nimmt, weiterarbeitet. Zwei Männer, die graben. Max, wie er an den Einbruch denkt. Dennis, wie sein Gesicht war, damals, als sie ihn abholten. Wie Max sich für ihn eingesetzt hat, weil es sonst keiner tat, wie er ihm diese Arbeit verschafft hat. Gemeindearbeiter, Gehilfe für Max, wenn die Arbeit für einen am Friedhof zu viel war. Hilfe beim Graben, bei den Wegen, Schneeschaufeln im Winter. Immer, wenn Max ihn braucht, ist er da. Sonst kehrt er die Straßen, tut, was der Bürgermeister ihm sagt.
    Seine Großmutter war einundachtzig Jahre alt, ihr gehörte ein schäbiges kleines Haus an der Hauptstraße, sie sollte für Dennis sorgen, nachdem ihre Tochter den Jungen einfach bei ihr abgegeben hatte und nicht wieder zurückgekommen war. Dennis hat Max erzählt, was sie gesagt hatte. Dass er geweint hatte, dass sie einfach weggegangen und nicht zurückgekommen ist. Er hat es ihm erzählt, Max, nur ihm. Wie sie ihn angeschrien hat, laut.
    Die Mutter ging, Dennis blieb. Seine Großmutter war zu alt, um sich wirklich um ihn zu kümmern, sie vernachlässigte ihn, kochte nur manchmal, lag im Bett, wusch seine Wäsche nicht. Oft vergaß sie einfach, dass der kleine Dennis da war, dass er nach der Schule in der Küche saß und wartete, bis sie aufwachte, ihm etwas zu essen machte, einkaufte, den leeren Kühlschrank füllte. Die Großmutter schlief, ihr Rücken war kaputt und auch sonst alles. Dennis in der Küche mit schmutzigen Kleidern, ungewaschenen Haaren, einsam, weil ihn so niemand mochte, stinkend und traurig.
    Fünf Jahre ging das so, bis die Schule zu Ende war, Kinderhände, die ihn schlugen, keine Freunde, nur ein Mädchen, das nett zu ihm war, Johanna, sonst niemand. Er streunte durch das Dorf wie ein Hund, den niemand wollte.
    Dann brach Dennis ein. Eine zerbrochene Scheibe in Hannis Würstelstand, ein halb ausgeräumter Kühlschrank und die aufgebrochene Kasse. Das Wechselgeld fehlte, nichts sonst. Vierhundert Meter weiter in dem Haus an der Hauptstraße saß Dennis in der alten Küche vor einer großen Sahnetorte. Dennis hat Max später erzählt, wie gierig er war, so gierig, dass er einfach nicht anders konnte. Dass er Hunger gehabt hatte. Dass er fünf Würste gegessen hatte und Brot, dass er diese Torte einfach haben musste.
    Mit dem Wechselgeld lief er in die Konditorei. Es war ihm egal, dass man ihn gesehen hatte, wie er die Scheibe einschlug, wie er aus dem Würstelstand kam, wie er die Konditorei betrat und mit der Torte herauskam, wie er die Hauptstraße entlangrannte und in dem alten Haus verschwand. Er hatte Hunger, er schlang, seine Finger waren immer noch mit Creme verschmiert, als er Max erzählte, was passiert war. Dass die Polizisten ihn abgeholt hatten, in die Küche gestürmt waren, ihn grob auf den Tisch gedrückt hatten, sein Gesicht auf der dreckigen Tischplatte, Handschellen,
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