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Die Schöne und der Tod (1)

Die Schöne und der Tod (1)

Titel: Die Schöne und der Tod (1)
Autoren: Bernhard Aichner
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zweite Frau seines Vaters, Emma, seine erste Liebe. Mit 16 kamen sie zusammen, der erste Sex, das gemeinsame Glück, Pläne, große gemeinsame Zukunft. Bis alles auseinanderfiel, bis Max beschloss, die Arbeit seines Vaters zu übernehmen, ihn zu pflegen, Totengräber zu werden statt Journalist. Weil der Vater krank war, weil er ihn brauchte, weil er für ihn da sein musste. Er wollte, dass sein Vater bei ihm blieb. Er wollte nicht, dass er in einem der Löcher einfach verschwand.
    Zwei Jahre war Max da für ihn, bevor er starb. Chemotherapien, viel Leid im Friedhofswärterhaus. Max, wie er sich kümmerte um ihn. Und Tilda, die ihn davon abhalten wollte, die ihn immer wieder drängte, sein Leben nicht wegzuwerfen im Dorf, zurück an die Uni zu gehen, zurück nach Wien, zurück zu Emma, sie würde sich gut um seinen Vater kümmern, versicherte sie. Doch Max blieb. Bis Bert Broll starb. Bis Max unendlich traurig ein Grab für ihn schaufelte, ihn vergrub, Erde auf ihn schüttete.
    Max erinnert sich daran, wie sie weinten. Ob er will oder nicht, es ist wieder da, kommt in seinen Kopf, während die Sonne weggeht, Baroni und ihn auf der Terrasse alleinlässt. Bert Brolls Grab, man kann es sehen. Max erinnert sich an jede Schaufel Erde, die er nach oben warf, an jedes Stück Erde, das nach unten fiel, ihn zuschüttete, für immer verbarg. Wie das Geräusch auf dem Holz war, der Sarg, sein Geruch, der verschwand, das Gesicht seines Vaters, das einfach nicht mehr da war, seine knorrige Stimme, die nichts mehr sagte. Alles von ihm löste sich auf in dem Grab, das Max geschaufelt hatte. Max und Tilda blieben übrig. Sie standen am Grab und weinten gemeinsam, umarmt, verbunden.
    Dann fragte sie, ob er jetzt endlich gehen würde, ob er jetzt endlich wieder sein Leben weiterleben würde. Max sagte nein. Einer müsse die Arbeit am Friedhof ja machen, sagte er, und Journalisten gäbe es auch ohne ihn genug auf der Welt. Also blieb er und baute sich die Wohnung aus, die Terrasse, alles so, wie er es wollte.
    Der erste Stock des Friedhofswärterhauses wurde seine Insel, auf der er traurig war, auf der er sich langsam erholte, seine Tränen vergaß, Emma vergaß. Er schuf sich seine eigene Welt, rote Wände, Schiffsböden, großzügig alles, ein offener Kamin, sein Computer, sein Modem, seine Verbindung zur Welt, sein Himmelbett, aber keine Emma. Sie war weit weg, von Monat zu Monat weiter. Max steckte die Liebe in einen Sack und warf sie in den Bach. Er schaute zu, wie sie davonschwamm, so weit, dass er sie nicht mehr spüren musste. Max schaufelte Gräber und kümmerte sich um den Friedhof, um das Haus seines Vaters, in dem jetzt er wohnte. Er und Tilda, die Chefinspektorin mit einem beinahe ebenso großen Herzen, wie seine Mutter es gehabt hatte. Sie war verantwortlich dafür, dass er die Welt mochte, dass er keine Angst vor ihr hatte, sie war die Wärme in seinem Leben, sie war Heimat. Tilda und Max, Kirchplatz 5, Max oben, Tilda unten.
    Dachterrasse, Sonntag. Baroni, wie er das Glas von Max füllt, wie Max trinkt. Seine Stimme ist traurig, er spricht über Emma, er erzählt von tausend schönen Dingen, die sie zusammen hatten, von der Zeit, als er bei der Zeitung jobbte und sie in einer kleinen Werkstatt Mode machte, weit weg in Wien, damals. Der Wein löst die Zungen, holt alte Geschichten von unten nach oben. Auch Baroni erzählt, über die Scheidung, seine Kinder, über die Frauen, mit denen er sich zum Spielen trifft. Baroni, der Fußballstar, Baroni, der Weiberheld, Frauen, die er kurz berührt und wieder loslässt. Immer eine andere Brust an seiner Seite, in den Zeitungen, im Fernsehen, junge, schöne Frauen mit weißen Zähnen.
    Schwerenöter, sagt Max.
    Halb so schlimm, sagt Baroni.
    Max holt eine neue Flasche. Er weiß, dass sie bald da sein wird, er versucht es zu ignorieren, er will es nicht wissen, öffnet den Wein und trinkt. Er will keine Sorgen, keine Probleme, keine Beziehung, die alles in seinem Leben wieder kompliziert macht, er will frei sein, unabhängig, nichts tun, was er nicht tun will. Er will keinen Klotz am Bein, keine Frau, die ihm sagt, wo er hingehen soll und wo nicht. Keine Hanni, keine Emma, keine Marga, keine Leichen an einem Sonntag. Er will sich mit Baroni betrinken, über Brüste reden, über Frauen, sich mit Worten über sie hermachen, er will sich leicht fühlen, jung und dumm sein, das Telefonat vergessen, alles, was mit Emma zu tun hat. Max trinkt einen langen Schluck. Dann steht sie in der
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