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Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen

Titel: Die schlimmsten Dinge passieren immer am Morgen
Autoren: Wolfgang Brenner
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sonst niemandem versprochen, seine Blumen zu gießen. Also gib mir den Schlüssel zu deiner Wohnung!«
    Doch Germersheimer schien alles andere als erfreut zu sein. »Komisch ist es schon, dass keiner dich gebeten hat, seine Blumen zu gießen. Ich zum Beispiel habe den ganzen Juli über bei Manderscheid gegossen. Der gießt jetzt bei Joschka Fischer, deshalb kann er nicht bei mir. Pfeifenberger gießt die Blumen des Kulturdezernenten …«
    »Typisch Pfeifenberger. Der schmeißt sich an jeden ran, der was zu sagen hat.«
    Germersheimer hob den Zeigefinger. »Nicht, dass du glaubst, Pfeifenberger hätte sich danach gedrängelt. O nein. Der Kulturdezernent hat ihn geradezu bekniet. Seit er letztes Jahr die Kakteen von Reich-Ranicki versorgt hat, reißt sich die Kulturszene um Pfeifenberger. Es ist heutzutage nicht einfach, eine verlässliche Kraft zu finden. Hast du nicht gehört: Als Schumi vor drei Jahren aus dem Urlaub nach Hause kam, waren seine Gummibäume eingegangen.«
    Schmalenbach reute seine Hilfsbereitschaft schon. »Du kannst dich darauf verlassen, ich gieße deine Pflanzen ordentlich«, versprach er genervt.
    »Hast du denn irgendwelche Referenzen vorzuweisen?«
    »Referenzen?«
    »Hast du schon mal bei jemandem Blumen gegossen? Eine Vertrauensperson, die dich empfehlen kann. Keine alte Tante mit Plastikblumen, sondern jemand mit Geschmack – jemand aus der Kulturszene.«
    »Weißt du was, Germersheimer? Such dir jemand anderen!«, fuhr Schmalenbach ihn an.
    Germersheimer schmollte. »Ich kann ja nichts dafür, dass dich noch kein Mensch gebeten hat, seine Blumen zu gießen.«
    »Ich kann ganz gut damit leben, Germersheimer.«
    Germersheimer gab sich einen Ruck. »Okay, wir sind Freunde. Wir kennen uns schon lange. Ich werde es mit dir versuchen, Schmalenbach.«
    Nun konnte Schmalenbach nicht mehr zurück: Germersheimer war zwar ein erfolgloser Literat, aber er war mindestens so empfindlich wie O.W. Fischer. Also verabredeten sie einen Besuchstermin. Schmalenbach sollte eingewiesen werden.
    Es stellte sich heraus, dass Germersheimer nur zwei Geranien hatte. Beide standen auf dem Balkon. »Es ist das raue Klima hier in Bockenheim, da wächst nichts anderes. Umso mehr hänge ich an den beiden Pflanzen. Ich habe ihnen Namen gegeben: Schmalenbach und Pfeifenberger. Ich rede jeden Tag mit ihnen. Vielleicht könntest du auch ab und zu mal was sagen, aber bitte keine Pflanze bevorzugen. Nicht, dass ich aus dem Urlaub zurückkomme, und Schmalenbach ist fünf Zentimeter größer als Pfeifenberger.«
    Anschließend hielt Germersheimer Schmalenbach ein Seminar über Blumenpflege. Er zeigte ihm, wie er Wasser aus dem Bad zu holen hatte und welche Räume er nicht betreten durfte – eigentlich war nur ein Zimmer der Zweizimmerwohnung tabu, Germersheimers Schlafzimmer. »Dort gibt es noch zu viele Erinnerungen an meine Ex-Frau. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ein Fremder den Raum entweihen würde.«
    Schmalenbach versprach hoch und heilig, sich daran zu halten, und machte sich mit Germersheimers Ersatzschlüsselbund aus dem Staub.
    Nur zwei Tage später kam er zufällig an Germersheimers Wohnung vorbei und beschloss, nach den Pflanzen zu sehen. Schmalenbach und Pfeifenberger standen in Schlammbädern. Germersheimer hatte sie bei seiner Abreise anscheinend so großzügig gegossen, dass sie für die nächsten Tage noch genug Wasser hatten. Zu Sicherheit goss Schmalenbach etwas nach. Als er die Wohnung verließ, entdeckte er an der Schlafzimmertür ein handgemaltes Schild: »Nicht betreten! Lebensgefahr!«
    Drei Tage später standen die Blumen immer noch im Wasser. Dennoch goss Schmalenbach beide Pflanzen. Auf keinen Fall sollte Germersheimer unzufrieden mit seiner Pflege sein.
    Bei seinem nächsten Besuch stand das Wasser bis zu den Rändern der Blumentöpfe. Schmalenbach konnte sich nicht erklären, wieso die Blumen so wenig Feuchtigkeit brauchten. Vielleicht waren sie krank. Er beschloss, dennoch nachzugießen. Er dachte dabei an Germersheimers Worte über das raue Bockenheimer Klima …
    Zwei Tage später bekam Schmalenbach einen Schreck. Die Blumen machten einen erbärmlichen Eindruck. Sie ließen die Blätter hängen. Besonders Pfeifenberger sah krank aus. Dabei stand er bis zu den Knien im Wasser.
    Schmalenbach musste etwas unternehmen. Wenn Germersheimer aus dem wohlverdienten Urlaub zurückkam und seine beiden Lieblingspflanzen eingegangen waren, würde er ihm die Schuld dafür geben. Schmalenbach goss das
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