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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin
Autoren: Lena Falkenhagen
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Schwester berichtete ihr aufgeregt von ihrem Zeltgenossen im Lager der Osmanen, und dass Christoph Zedlitz von Gersdorff bei der Mutter um ihre Hand angehalten hatte. »So wird also doch noch eine von uns eine ehrbare Frau«, sagte Madelin und strahlte sie an.
    »Nur eine?«, fragte Anna lächelnd, denn Lucas und Madelin machten aus ihrer Zuneigung inzwischen kein Geheimnis mehr.
    Dann griff Anna in einen Beutel und zauberte daraus einen Umschlag aus Wachstuch hervor, den sie ihr überreichte. »Mach ihn auf!«
    Die Wahrsagerin schlug das Tuch mit zitternden Fingern auf. Darin lagen mit goldenem Schimmer und strahlenden Farben die Karten des Trionfi-Spiels. Ihr Herz machte einen freudigen Satz.
    »Das ist für dich«, sagte Anna leise. »Dein Vater hat sie mir mitgegeben, als er mich gehen ließ. Er trug mir auf, sie dir zu überreichen.«
    Madelin berührte die Karten beinahe ehrfürchtig. Ein paar waren verkratzt oder durch Feuchtigkeit gewellt, vermutlich als sie sie auf den Kirchenboden geworfen hatte. Madelin zählte die Karten durch, es fehlte nichts.
    »Probier sie aus!«, forderte Anna sie auf.
    »Nein, nicht jetzt. Aber danke schön«, sagte Madelin herzlich und nahm die Schwester in den Arm. Anna erwiderte die Umarmung mit Inbrunst.
     
    Als der Frühling mit dem ersten Grün nach einem harten und entbehrungsreichen Winter Einzug im Wiener Becken hielt, atmete ganz Wien vor Erleichterung auf. Ein neues Jahr versprach eine neue Ernte und mehr Holz für die Ausbesserungen
an den Gebäuden. Es sollte eine neue Stadtmauer gebaut werden, mit Sternenschanzen und einem breiten Graben.
    An einem lauen Aprilabend saß Madelin mit Franziskus in der Türmerstube des Stephansturmes. Sie hatten sich hierher in den vergangenen Monaten gerne zurückgezogen, besonders da der Ikonenmaler von Alfons, der Brandwache, freien Zugang bekam, solange der Mann Dienst hielt.
    Franziskus sah trotz des harten Winters nicht mehr so zerbrechlich aus wie im letzten Herbst. Mit den Schrecken des Krieges hatten sich auch seine Anfälle deutlich verringert. Die Kräuter, die Lucas ihm gegeben hatte, sorgten dafür, dass er seine Kraft zurückfand und wieder ruhig schlafen konnte. Es ging ihm wieder besser, und dafür war Madelin dankbar. Vollständig von den Anfällen geheilt würde er aber vermutlich nie.
    Sie blätterte durch die Skizzen, die der Maler an den einzelnen Tagen der Belagerung angefertigt hatte. »Du warst ein paarmal hier oben, ohne dass ich etwas davon mitbekommen habe, wie?«, fragte sie erstaunt. »Jedes einzelne Ereignis ist hier auf diesen Zeichnungen festgehalten. Das ist ganz wunderbar!« Gleichzeitig war der Anblick aber auch schrecklich, doch Madelin wusste zu schätzen, was der Freund getan hatte. Er hatte eine Chronik der Ereignisse in Bildern angefertigt.
    »Jemand will sie kaufen und zu einem Rundbild zusammensetzen«, sagte Franziskus. »Ein Mann namens Niklas Meldemann aus Nürnberg. Er ist Drucker. Ich könnte sogar noch etwas damit verdienen. Vielleicht ein kleines Haus kaufen.«
    Den Winter über hatte er sich Gedanken über die Sesshaftigkeit gemacht, und einmal hatte er bereits mit ihr darüber gesprochen, wie es wäre, nicht mehr durch die Welt ziehen zu müssen. Sie wusste nicht, was dann aus ihrer kleinen Gemeinschaft
werden würde, doch es war klar, dass sie seinen Wunsch respektieren würde. Madelin wusste noch nicht genau, was aus ihr werden sollte. Was, wenn die Freiheit dort draußen sie wieder lockte, die Mauern der Stadt hinter sich zu lassen? Doch noch war sie so glücklich in Wien, wie man es nur sein konnte, und sie freute sich, dass auch der Freund bleiben wollte. »Das ist wunderbar, Franzl.«
    Als Lucas sich hinter ihnen räusperte, erhob sich Franziskus und machte dem Studenten Platz. »Ich muss noch … ein Bild malen«, sagte er lächelnd und machte sich an den langen Abstieg vom Turm.
    Madelin und Lucas traten an die Brüstung der Türmerstube und sahen auf das Land hinunter. Man konnte noch deutlich die Spuren der Zerstörung an Weingärten, Feldern, Schobern, Höfen und Burgen erkennen. Wien lag auf den Knien und würde vermutlich Jahre brauchen, um sich zu erholen. Man sagte, dass in den Vorstädten über siebenhundert Häuser abgebrannt waren, die Schäden an den Häusern innerhalb der Mauern nicht mitgerechnet. »Es wird eine ganze Weile vergehen, bis sich das Land erholt«, murmelte Madelin.
    »Aber es wird wieder etwas wachsen«, erwiderte Lucas. Er deutete auf das erste zarte
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