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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin
Autoren: Lena Falkenhagen
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Sie verbreiteten die Kunde, die Osmanen hätten viele Sklaven und Gefangene brutal abgestochen, bevor sie aufgebrochen waren. Als Madelin das hörte, bekreuzigte sie sich erleichtert. Sie war nur froh, dass Anna es vorher herausgeschafft hatte. Und das verdankte sie nur ihrem Vater. Madelin empfand dem Mann gegenüber eine tiefe Dankbarkeit.
    Doch sie sollte von Mehmed nichts mehr hören. Lange Tage sah Madelin, wenn sie am Hohen Markt vorbeiging, die Mutter im Fenster sitzen und darauf warten, dass eine Kunde käme. Doch wäre Mehmed noch am Leben, sie hätte es erfahren. Vermutlich war er bei dem letzten Sturm getötet worden. Auch Madelin trauerte um den Vater, den sie ihr Leben lang so verkannt hatte.
    Am Nachmittag fielen die ersten Tropfen, und am Abend ging der Regen in einen feuchten Schnee über. Über diesen und den folgenden Tag verteilt zog auch die große Masse des Heeres endlich ab, gedeckt vom Sultan mit den Janitscharen. Am achtzehnten
Oktober folgte auch der Großwesir Ibrahim Pascha, der mit den rumelischen Lehensreitern seinerseits den Rückzug des Sultans deckte. Sein letzter Staatsakt war ein teilweiser Austausch Gefangener von Stand, die so in ihre jeweiligen Lager zurückkehrten. Unter den Männern war offenbar der Bannerträger Graf zu Hardeggs, Christoph Zedlitz von Gersdorff.
    Der November zeigte sich von seiner unwirtlichsten Seite und begrüßte Wien mit Schneeregen und Wind. Lucas wurde aus dem Lazarett entlassen und ließ sich von Madelin mit dem Karren, unter Protest, zur Kodrei bringen.
    Als sie ihn vor der Tür verabschiedete, hielt er sie fest. »Ich verstehe nicht ganz. Warum gehst du wieder?«
    »Weil einige der Studenten zurückgekehrt sind«, erwiderte Madelin. »Ich habe mich mit Franziskus und den anderen wieder in die Wagen zurückgezogen. Keine Angst«, sprach sie und lächelte, »du findest uns am alten Platze vor Sankt Ruprecht.« Dann küsste sie ihn zärtlich und ging.
     
    Lucas traf in der Kodrei tatsächlich einige ihrer alten Bewohner wieder. Unter ihnen war auch Heinrich zu Hardegg. Er berichtete, er hätte es bis Krems geschafft und sei dort mit den Reichstruppen von Friedrich von der Pfalz bereits am zwanzigsten Oktober nach Wien zurückgekehrt. »Gut, dich wohlauf zu sehen«, sagte Heinrich und schloss Lucas in die Arme. »Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet.«
    »Ich umgekehrt auch. Als ich gehört habe, dass der Flüchtlingszug überfallen worden ist, nahm ich an, dass dir ein Türkensäbel den Kopf gespalten hat.«
    »Der ist nicht so leicht zu spalten«, erwiderte Heinrich grinsend. »Hat Pernfuß sich inzwischen beruhigt?«
    »Ja, er hat die Klage gegen uns fallenlassen, weil Wilhelm Hofer tot ist.«

    »Davon habe ich gehört! Sein Sohn ist ein Held, sagt man. Er hat wohl im letzten Augenblick eine der wichtigen Minen ausgeräumt. Stimmt das?«
    »Da ist was Wahres dran«, erwiderte Lucas und blickte auf seine verbrannten Hände.
    »Mann, der wird mit so dicker Hose herumlaufen, dass es ein Spaß sein wird, ihn und seine spießbürgerlichen Freunde zu zwacken, meinst du nicht?« Lucas antwortete nicht, sondern wandte sich ab.
    Doch Heinrich blieb hartnäckig. »Meinst’ nicht, wir sollten mit einem kleinen Trupp mal bei seiner Werkstatt vorbeischauen und uns ein bisschen umsehen? Er zeigt uns den Laden bestimmt ganz freiwillig!«
    »Nein, das meine ich nicht«, erwiderte Lucas. Er hatte keine Lust, sich dem Freund zu erklären, doch die Tage, in denen er gegen die Bürgersleute zog, waren ein für alle Mal vorbei. Ohne die Männer, die trotz der lebensbedrohlichen Gefahr geblieben waren, gäbe es Wien jetzt nicht mehr.
     
    Die Fahrenden bereiteten sich auf einen harten Winter vor. Madelin entdeckte Mitte November, dass ein Haus beim Schottenkloster leer blieb, obwohl die meisten Flüchtlinge zurückgekehrt waren. Also beschloss sie, dort vorübergehend mit den Freunden einzuziehen. Wenn der Besitzer wiederkäme, würden sie ihm gerne Platz machen. Verwundert stellte sie fest, dass jene Rastlosigkeit, die sie früher immer wieder zurück auf die Straße getrieben hatte, momentan zu schlummern schien. Das war auch besser so, denn im Winter reiste man nicht.
    Im Dezember - Madelin saß gerade über ihrem guten Kleid und besserte die Löcher und verschlissenen Stellen aus, die es inzwischen aufwies - klopfte es vor der Tür. Die Wahrsagerin legte Nadel und Faden beiseite und öffnete. Es war Anna.

    Madelin bat sie herein und bot ihr Tee an. Die
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