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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin
Autoren: Lena Falkenhagen
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schwammen.
    Die junge Frau warf einen Blick über die Schulter. Wie nahe die Osmanen bereits herangekommen waren! Schon konnte sie erkennen, wie einzelne Reiter ihre Pferde antrieben. Mit klopfendem Herzen erkannte sie, dass die Distanz zwischen den Verfolgern und der kleinen Truppe um die Hälfte geschrumpft war. Steckte diesen Männern der Teufel im Leibe, dass sie so schnell reiten konnten? Und was würden die Türken mit Franziskus und den anderen anstellen, wenn sie es nicht schafften? Und was mit ihr selbst? Madelin schob den Gedanken weit von sich und trieb das Pferd noch stärker an.
    Sie konzentrierte sich nun ganz auf den restlichen Weg vor ihr. Ziel war der Niklasturm mit seinem roten Dach, der den höchsten Punkt der ovalen Wallanlage um die Vorstadt bildete. Was sie dort jedoch sah, ließ sie erbleichen. Möglicherweise würden sie den Weg zum Torturm noch zurücklegen können,
bevor die Reiter da wären. Vor dem Tor aber drängten sich so viele Menschen, die in die Vorstadt wollten, dass sie nie und nimmer rechtzeitig hinter die Mauern gelangen könnten.
    Die junge Frau ließ ihre Gerte trotzdem noch einmal auf die schweißbedeckte Flanke des Pferdes sausen. Offenbar spürte das Tier ihre Angst, denn es grunzte wie ein Zugochse und fiel trotz seiner Erschöpfung in einen mühsamen Galopp. Der Wagen holperte über eine frei gespülte Wurzel und begann zu schlingern, doch Madelin hielt die Zügel mit eiserner Hand.
    Die letzten paar Dutzend Fuß zum Tor lagen vor ihnen, und Madelin begann, das Pferd zu zügeln. Trotzdem rauschte sie noch mit beängstigendem Tempo auf die Menge zu, die die gepflasterte Straße füllte. Da sie weder wollte, dass die Mähre ins Schliddern geriet, noch, dass Scheck auf sie auffuhr, beschrieb sie einen leichten Bogen vorbei an dem Pulk, bevor sie den Wagen endlich zum Stehen brachte.
    Ein hastiger Blick zurück bestätigte ihre Befürchtung, noch bevor sie wieder zu Atem gekommen war. Die Osmanen preschten vorwärts, tief über die Hälse ihrer Pferde gebeugt. Nicht mehr lange, dann hätten sie das Tor erreicht. Bei der Menschenmenge vor ihr schien es weder vor noch zurück zu gehen.
    »Mit den Wagen kommen wir da nie durch!«, rief sie. »Wir müssen die Karren zurücklassen.« Franziskus nickte bloß und schälte sich aus seiner Decke.
    Madelin sprang vom Bock. »Von den Wagen!«, rief sie Scheck und den anderen zu. »Zu Fuß schaffen wir es vielleicht!« Sie lief zur Rückseite ihres Karrens, löste den Riegel und sprang hinein. Dort stopfte sie Geld, Brot und ein paar Habseligkeiten von sich und Franziskus in einen Beutel und verließ das halbdunkle Gefährt so schnell wieder, wie sie es betreten hatte. Franziskus war vom Bock geklettert.

    »Schnell, komm!« Madelin ergriff den Arm ihres Freundes und zog ihn voran. Mit einem Blick zurück zu den Karren stellte sie beruhigt fest, dass auch Scheck und Erisbert folgten. Sie hatten sich bei Miro untergehakt und schleiften ihn mit - der Bärenführer hatte sein Tier offenbar nur widerwillig zurückgelassen. Dann tauchte Madelin mit Franziskus in die Menge ein und versuchte, sich einerseits durchzuschlängeln und gleichzeitig den geschwächten Freund mit ihrem Körper vor dem schlimmsten Gedränge zu schützen.
    Ein paar Fuß weit konnte sie sich voranschieben, dann gab es kein Vorwärtskommen mehr. Männer, die viel größer waren als sie selbst, schubsten und drängten. Sie konnte nichts mehr sehen, denn die Rücken um sie herum schirmten sie völlig ab. Ihre Hand rutschte von Franziskus’ Arm zu seiner Hand, doch der Freund war langsamer als sie. Als sich Leiber zwischen sie schoben, hielt sie seine Hand mit gestrecktem Arm krampfhaft fest. Sie durften einander nicht verlieren! Sie schlüpfte zurück, um wieder zu Franziskus zu finden, da hieb sie ein Ellenbogen in die Seite und raubte ihr für einen Augenblick die Luft. Madelin fühlte, wie sich Arme um ihre Schultern legten. Franziskus war zu ihr aufgeschlossen und schützte sie nun mit seinem nur wenig breiteren Kreuz.
    »Wir müssen weiter voran!«, keuchte sie und presste sich eng an Franziskus, seine Arme hielt sie um ihren Hals wie ein Joch. Doch es war aussichtslos, das Gedränge war zu groß.
    Lärm hob jenseits des Tores an. Rufe, Schmerzensschreie und das Wiehern von Pferden drangen hervor, dann schoben sich die Menschen, die sich eben noch nach vorne gedrückt hatten, rücksichtslos zurück. Jemand stieß heftig gegen Madelin und stürzte zu Boden, doch bevor
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