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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt
Autoren: Tom Becker
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anderes holen.«
    Shaw griff nach Jonathans unverletzten Arm. Jonathan wand sich verzweifelt, aber es hatte keinen Sinn. Er war völlig erschöpft und der Polizist war überraschend kräftig. Obwohl er bemüht war, Jonathans Arm nicht zu stark zu drücken, umklammerte er ihn wie ein Schraubstock. Er führte Jonathan behutsam zur Tür und beachtete seine Gegenwehr und seine Schreie nicht weiter. Vendetta beobachtete die Szene mit unverhohlenem Amüsement. Tränen der Wut füllten Jonathans Augen. Er war so weit gekommen, hätte es fast geschafft, und dennoch war alles umsonst gewesen.
    »Wir unterhalten uns auf dem Polizeirevier, wenn du dich beruhigt hast«, sagte Vendetta. »Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns eine Menge zu erzählen haben, nicht wahr?«
    Jonathan trat nach ihm und verfehlte ihn nur knapp. Er sah Vendetta wutentbrannt an.
    »Wenn sie meinem Dad etwas antun, dann bringe ich Sie um. Haben Sie mich verstanden? Ich bringe Sie, Marianne und Grimshaw um. SIE ALLE !«
    Fluchend schaffte Shaw es, ihn aus dem Raum zu zerren und die Tür hinter ihnen zu zuwerfen. Die Schreie des Jungen hallten durch den Gang, als er ihn abführte. Vendetta lächelte und wandte sich zu Alain Starling.
    »Nun denn. Sieht so aus, als wären wir endlich allein. Ich habe eine ganze Weile darauf gewartet, dichkennenzulernen. Ich sollte dir zu deinem Sohn gratulieren. Er ist ein recht guter Junge. Nicht gut genug, um dich zu retten, aber trotzdem … recht beeindruckend. Du wirst ihn bestimmt vermissen.«
    Er schaltete das Licht aus.

    Dem Jungen ging jetzt die Kraft aus.
    Shaw hatte es geschafft, einen der Pfleger für sich einzuspannen, und gemeinsam schleiften sie Jonathan durch die Krankenhausflure. Zuerst hatte der Junge sich wie eine Wildkatze gewehrt, aber dann ließen seine Kräfte nach. Er war nun kurz davor, sich mit seiner Niederlage abzufinden. Seine Tritte wurden schwächer und er ließ entmutigt den Kopf hängen.
    Eigentlich hätte Shaw mit sich zufrieden sein können. Er war persönlich für die Rettung eines der beiden Jungen verantwortlich. Vielleicht würde ihn Jonathan zu Ricky führen. Der ganze Fall könnte in paar Stunden gelöst sein und es wäre alles sein Verdienst. Bei einem so wichtigen Fall wäre ihm eine Beförderung sicher. Wahrscheinlich würde er Karriere machen. Aber warum war er nicht glücklich? Warum hatte er dieses komische Gefühl, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte? Warum bedrängte ihn seine innere Stimme und sagte ihm, dass er etwas Wichtiges übersehen hatte?
    Sie kamen zum Schwesternzimmer. Bald würden sie das Krankenhaus verlassen und zum Polizeirevier fahren. Jonathan bewegte sich inzwischen überhauptnicht mehr und hing wie ein nasser Sack zwischen den Männern. Shaw legte die Stirn in Falten. Denk nach!, forderte er sich auf. Was hast du übersehen? Der Junge hatte ihnen eine so unglaubliche Geschichte aufgetischt, dass es kaum vorstellbar war, dass auch nur ein Wort davon stimmen sollte. Dolche und Vampire, all diese Gestalten mit ihren lächerlichen Namen …
    Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Shaw hielt an und schüttelte Jonathan.
    »Wer ist Marianne?«
    »Was?«
    »Marianne. Du hast vorhin ihren Namen genannt. Wer ist sie?«
    Jonathan seufzte müde.
    »Sie ist eine Kopfgeldjägerin, die angeheuert wurde, um mich und Ricky zu entführen. Sie hat leuchtendes Haar und zwei Handlanger – einen verrückten, kleinen Glatzkopf und einen Riesen, der richtig schnell laufen kann. Sie hat Vendetta den Dolch zurückgebracht und er wird jetzt damit meinen Vater umbringen. Glauben Sie mir irgendetwas davon?«
    Plötzlich lichtete sich der Nebel in Shaws Gedanken. Alles passte zusammen: das Foto von Ricky am Trafalgar Square, die Bilder des Riesen in der Überwachungskamera und die Unterhaltung zwischen Roberts und dem Motorradfahrer in der Garage. Es mochte verrückt klingen, aber der Junge hatte offenbar recht. Ein entschlossener Ausdruck huschte über Shaws Gesicht.
    »Sogar jedes Wort. Komm.«
    Sie hasteten zum Zimmer zurück und fanden die Tür verschlossen vor. Shaw schob Jonathan zur Seite, warf sich gegen die Tür und brach sie aus den Angeln. Im Zimmer tastete er nach dem Lichtschalter. Vendetta kauerte mit erhobenem Dolch über Alain. Er fuhr herum, als sie das Zimmer betraten, und Shaw wich vor Entsetzen zurück. Was zuvor das gelassene Gesicht von Carter Roberts, dem Leiter der Spezialeinheit, gewesen war, war nun eine hasserfüllte, knochige Fratze. Die
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