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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt
Autoren: Tom Becker
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Teil der Stadt sind. Die meisten Bewohner von Savage Row wagen sich nicht hier herunter.«
    »Aha.«
    »Natürlich wird es dann unten bei der Hauptstraße voller. An der Fitzwilliam-Street muss man über Leichen gehen, um in den Zug zu kommen.«
    Raquella bemerkte Jonathans besorgten Blick und kicherte.
    »Keine Sorge, Angsthase. Wir steigen vorher aus.«
    »Gut. Okay«, entgegnete er und fühlte sich ein wenig erleichtert.
    Sie runzelte die Stirn.
    »Viel schlimmer wäre, wenn der Tunnel einstürzen würde. Dann wären wir ganz sicher hinüber.«
    Jonathan fuhr sich erschöpft mit der Hand über das Gesicht und sagte nichts. Der Zug setzte seine unheimliche Fahrt fort und sie passierten die Haltestellen »Upper Croft« und »The Wells«. Mit seinen Gedanken allein gelassen, spürte Jonathan, wie die Anspannung in ihm wuchs. Aber Raquella hatte recht, es war jetzt der falsche Zeitpunkt, um sich über Carnegie und Ricky Gedanken zu machen. Er musste sichkonzentrieren. Er näherte sich Lightside, seinem Teil der Stadt, wo es Kabelfernsehen und Computer, Astronauten und Pop-Stars gab. Dort war auch sein Vater. Und Vendetta.
    Raquella tippte ihm auf den Arm und unterbrach seine Gedanken.
    »Du solltest dich fertig machen. Der Zug wird jeden Moment Down-Street passieren.«
    »Du kommst nicht mit?«
    Sie blickte auf ihre Füße und schüttelte den Kopf.
    »Es tut mir leid, Jonathan, aber ich bin eine Darksiderin. Nur wenige von uns können den Übergang durchqueren. Ich fahre zurück nach Vendetta Heights und suche Carnegie.«
    »Was geschieht mit dir, wenn …«, Jonathan konnte den Satz kaum zu Ende sprechen. »… wenn ich versage? Wenn ich Vendetta nicht aufhalten kann und er zurückkehrt?«
    »Ich weiß es nicht. Ich muss ihm zumindest irgendwas wegen des Glashauses erzählen. Mir wird schon nichts passieren. Er war schon öfter böse auf mich und ich lebe trotzdem noch.«
    »Wie kannst du zu diesem Mann zurückgehen? Er ist ein Mörder und ein Vampir!«
    »Welche Wahl habe ich denn?« Sie schlug die Hände zusammen. »Es gibt nicht viele Jobs, die so gut bezahlt sind wie dieser. Ich kann damit meine Familie ernähren, Jonathan. Was soll ich sonst machen?«
    Jonathan sah sie grimmig an.
    »Ich weiß es nicht, aber ich denk mir was aus.«
    Raquella wandte sich von ihm ab, um ihr Lächeln zu verbergen.
    »Pass auf, du musst dich konzentrieren. Wir sind fast da!«
    »Wird wohl noch ein bisschen dauern. Wir fahren immer nach wie vor ziemlich schnell.«
    Sie wirkte etwas verlegen.
    »Ja … da gibt es ein kleines Problem. Dieser Zug fährt an der Haltestelle Down-Street vorbei . Er hält nicht an.«
    »Und wie soll ich dann bitte aussteigen?«
    »Springen.«
    Jonathan starrte auf den Rauch, der am Fenster vorbeiflog.
    »Bist du verrückt? Hast du gesehen, wie schnell wir fahren?«
    »Es gibt keinen anderen Weg. Du musst springen.«
    »Ich werde mich verdammt noch mal umbringen! Warum hast du das nicht früher gesagt?«
    »Weil ich wusste, das du dann sauer wirst!«
    »Und das zu Recht! Willst du mir erzählen, dass Vendetta das auch so macht?«
    »Ehrlich gesagt, hast du nach dem schnellsten Weg nach Lightside gefragt.«
    »Oh, Entschuldigung. Ich habe wohl vergessen zu erwähnen, dass ich auch gerne lebend dort ankommen würde, wenn es nicht zu viel Umstände macht!«
    Er fluchte leise vor sich hin und riss die Tür auf. Ein Schwall Russ und Rauch strömte in das Abteil. Jonathans Augen brannten und er musste husten. DerLokführer ließ erneut lautstark die Pfeife erklingen. Jonathan spähte in den Tunnel und sah den Bahnsteig auf sich zurasen. Er stemmte seine Füße in die Ecken des Türrahmens und machte sich sprungbereit. Der Qualm nahm ihm die Sicht und seine Ohren dröhnten vom Rattern der Räder. Es war nicht das erste Mal, dass er sich an diesem Abend fragte, ob er die Sache heil überstehen würde.
    »Jonathan!«, rief Raquella plötzlich.
    Er sah sich nach ihr um.
    »Viel Glück.«
    Er nickte grimmig und machte sich bereit. Die Pfeife dröhnte nochmals und er spürte den Bahnsteig an sich vorbeiziehen. Er hatte keine Zeit nachzudenken. Es gab kein Zurück. Er stieß einen gellenden Schrei aus und sprang vom Zug. Ein paar Sekunden lang spürte er nur die Leere, dann prallte er auf den Bahnsteig.

25
    Jonathan lag regungslos da. Er war mit Staub und Schmutz bedeckt und wimmerte leise vor sich hin. Die Wucht des Aufpralls hatte die Wunde, die Carnegie ihm beigebracht hatte, wieder aufgerissen. Er spürte einen
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