Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt
Autoren: Tom Becker
Vom Netzwerk:
ihr.«
    »Einen schlechten Ruf in Darkside? Was zum Teufel geht hier vor sich?«
    »Oh, hör auf rumzumeckern. Ich hab dir gesagt, dass das die schnellste Möglichkeit für dich ist, nach Hause zu kommen.«
    Sie marschierte an den Möbeln vorbei, steckte eine kleine Silbermünze in einen Schlitz am Drehkreuz und passierte es. Auf der anderen Seite angekommen, fischte sie eine weitere Münze aus ihrem Geldbeutel und warf sie Jonathan zu.
    »Ich gehe davon aus, dass es in eurem Teil von London keine Groschen gibt, oder?«
    »Was ist ein Groschen?«, erwiderte Jonathan und folgte ihr durch das Drehkreuz.
    Der Durchgang führte zu einer steilen Treppe. Wasser tropfte durch Risse im Mauerwerk über ihren Köpfen. Es lief ihnen den Nacken herunter und bewirkte, dass die Stufen gefährlich rutschig waren. Jonathan nahm eine Fackel von der Wand und versuchte, den Weg auszuleuchten. Raquella klammerte sich an seinen Arm und sie tasteten sich langsam und vorsichtig voran. Sie stiegen tiefer und tiefer in die Erde hinab, die Luft wurde kälter und kälter, sodass Jonathan nach kurzer Zeit seinen weißen Atem sehen konnte.
    »Oben war es wesentlich netter«, brummte er.
    Raquella konzentrierte sich viel zu sehr auf ihre Schritte, als dass sie ihm eine spitze Antwort hätte geben können.
    Schließlich erreichten sie das Ende der Treppe und standen in einer riesigen Halle. Vor ihnen lagen zweiBahnsteige, zwischen denen die Schienen verliefen. Sie waren mit einer schmiedeeisernen Brücke verbunden, die es den Fahrgästen ermöglichte, von einem Bahnsteig zum anderen zu gelangen. Nach dem unbehaglichen Abstieg war Jonathan überrascht, dass hier unten wieder alles so vornehm war wie oben. Der Boden war mit poliertem Marmor ausgelegt und die Decken mit üppiger Bemalung verziert. Für die wartenden Fahrgäste standen Stühle und Tische bereit. Zu diesem Zeitpunkt waren sie jedoch alle verwaist. Nur das unheilvolle Ticken einer riesigen, gotischen Uhr an der Wand war zu hören. Es war Viertel nach zwei. So viel war geschehen, seit Alain wieder krank geworden war, dass es Jonathan vorkam, als wären Jahre vergangen und nicht nur ein paar Tage.
    Raquella spähte forschend die Gleise entlang.
    »In einer Minute sollte einer kommen«, bemerkte sie. »Die fahren nachts ziemlich häufig.«
    »Wohin fahren wir?«
    »Vendetta hat mir erzählt, dass es einige Stellen gibt, an denen die Darkside-Linie eure Londoner U-Bahn kreuzt. Dieser Zug fährt an einer alten, verlassenen Haltestelle namens ›Down Street‹ vorbei. Von dort kommst du nach Lightside zurück und kannst zum Krankenhaus laufen.«
    »Wie bitte? Ich kann mit dem Zug nach Hause fahren?«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Nicht ganz. Du wirst es schon sehen, wenn du dort bist.«
    »Aber das kann doch nicht so einfach sein! Dutzende Leute arbeiten bei der U-Bahn, Fahrer und Bauarbeiter und so weiter. Meinst du nicht, die würden es sehen, wenn da plötzlich so ein Geisterzug vorbeifährt?«
    »Warum glaubst du, dass sie ihn nicht sehen?«
    »Aber dann wüssten sie ja Bescheid über …«
    Er hielt inne, als Raquella eine Augenbraue anhob. Sie kicherte.
    »Du musst wirklich noch eine ganze Menge lernen. Hör mal! Der Zug kommt.«
    Ein leises Zischen drang aus dem Tunnel und eine kleine Dampfwolke stieg in der Dunkelheit auf. Die Schienen erbebten und der Lärm der Maschine wurde lauter. Dann donnerte wie aus dem Nichts eine große schwarze Lokomotive mit einem durchdringenden Pfeifen in die Haltestelle. Die Räder ratterten mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Irgendwo auf dem Führerstand zog der Fahrer die Bremse und der Zug hielt abrupt an. Die gesamte Halle füllte sich mit dickem Rauch.
    Jeder Wagen war in mehrere kleine Abteile aufgeteilt. So weit Jonathan sehen konnte, waren sie alle leer. Er zog die nächstgelegene Tür auf und reichte Raquella die Hand zum Einsteigen. In jedem Abteil gab es zwei gegenüberliegende Sitzreihen mit je drei Plätzen und einer Schiebetür, die auf einen langen Gang hinausführte. Jonathan schlug hinter ihnen die Tür zu, der Zug setzte sich wieder in Bewegung und verließ die Haltestelle.
    Zunächst saßen sie sich still gegenüber. Jonathan starrte geistesabwesend aus dem Fenster in die Dunkelheit.
    »Das ist wirklich gruselig. Es scheint so, als wären wir hier die Einzigen.«
    »Vermutlich sind wir das auch. Es gibt einige Banden, die die Darkside-Linie rauf- und runterfahren und Leute ausrauben. Jeder weiß, wie reich die Leute in diesem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher