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Die Schattenplage

Die Schattenplage

Titel: Die Schattenplage
Autoren: Brandon Mull
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verzweifelte Verräterin hinterlassen hatte. Kendra erinnerte sich noch immer an sein spontanes Urteil:
    »Dies ist entweder die beunruhigendste Enthüllung, auf die ich je gestoßen bin, oder die brillanteste Lüge.«
    Fast zwei Monate später waren sie mit ihren Versuchen, die Botschaft entweder zu bestätigen oder sie zu widerlegen, keinen Schritt weiter gekommen. Wenn sie der Wahrheit entsprach, war der Sphinx, der scheinbar wichtigste Verbündete der Verwalter von Fabelheim, in Wahrheit ihr Erzfeind, ein Wolf im Schafspelz: Vanessa beschuldigte ihn, seine engen Beziehungen zu den Beschützern der magischen Reservate auszunutzen, um die finsteren Pläne der Gesellschaft des Abendsterns zu unterstützen.
    Wenn die Botschaft jedoch eine Lüge war, dann verleumdete Vanessa den mächtigsten Freund der Verwalter, um Zwietracht in Fabelheim zu säen und seinen Wärtern einen vermeintlichen Grund zu liefern, sie aus ihrer Haft in der Stillen Kiste zu befreien. Denn ohne Hilfe von außen war sie in der Stillen Kiste gefangen, bis ein anderer ihren Platz einnahm, und es war durchaus denkbar, dass sie aufrecht stehend, von nachtschwarzem Schweigen umgeben, jahrhundertelang darauf warten würde.
    Kendra rieb sich die Schienbeine. Vanessa konnte die Stille Kiste nur verlassen, wenn eine andere Person vorübergehend ihren Platz einnahm, und erst dann war es möglich, ein kurzes Gespräch mit ihrer einstigen Freundin zu führen. Aber dann war da noch das Problem, dass Vanessa immerhin eine Narkoblix war. Im Laufe des Sommers hatte sie fast jeden in Fabelheim gebissen, bis sie endlich enttarnt worden war. Deshalb konnte Vanessa, wenn sie der Stillen Kiste entkommen sollte, jeden von ihnen kontrollieren, sobald er schlief.
    Kendra würde mit ihrem Plauderstündchen mit Vanessa also warten müssen, bis ein Dritter ihr zustimmte. Und wie lange das dauern würde, wusste niemand. Als sie das letzte Mal das Thema erörtert hatten, hatte sich niemand dafür ausgesprochen, Vanessa eine Chance zu geben, ihre Beschuldigungen zu beweisen. Unter einem strikten Schweigegelübde hatten Opa und Oma die besorgniserregende Nachricht an Warren, Tanu, Coulter, Dale und Seth weitergegeben und alle Maßnahmen ergriffen, um den Wahrheitsgehalt des Briefes zu überprüfen. Hoffentlich hatten Tanu und Warren, wenn sie heute Abend von ihren Missionen zurückkehrten, genauere Informationen. Wenn nicht, würden die anderen dann endlich zu dem Schluss kommen, dass es an der Zeit war, sich anzuhören, was Vanessa sonst noch zu sagen hatte? Die Narkoblix hatte Andeutungen gemacht, dass sie mehr wisse, als sie in dem Brief offenbart hatte, und Kendra war davon überzeugt, dass Vanessa mehr Licht in diese Angelegenheit bringen konnte. Sie beschloss, sich nochmals dafür auszusprechen, Vanessa reden zu lassen.
    Ein flackerndes Licht tanzte am Ende des Flurs, als Slaggo um die Ecke kam. Der unheimliche Goblin trug einen schmutzverkrusteten Eimer in der einen Hand, in der anderen eine flackernde Fackel. »Streifst du mal wieder durch den Kerker?«, rief er Kendra zu und blieb stehen. »Wir hätten Arbeit für dich. Die Bezahlung ist unschlagbar. Du magst doch rohes Hühnerfleisch?«
    »Nie im Leben würde ich dir solch einen Leckerbissen wegschnappen!«, blaffte Kendra. Sie war nicht mehr sehr freundlich zu Slaggo und Voorsh, seit die beiden sie um ein Haar an ihre eingekerkerten Großeltern verfüttert hätten.
    Slaggo grinste höhnisch. »Man sollte meinen, sie hätten dein Lieblingsschoßtier in der Kiste eingesperrt, so wie du schmollst.«
    »Ich habe keine Sehnsucht nach ihr«, korrigierte Kendra ihn. »Ich denke nach.«
    Slaggo holte tief Luft und blickte sich selbstgefällig im Flur um. »Es ist schwer, sich eine inspirierendere Umgebung vorzustellen«, gab er zu. »Es geht doch nichts über das jammervolle Stöhnen der Verdammten, um die Räder im eigenen Gehirn in Bewegung zu setzen.«
    Der Goblin ging weiter und leckte sich die Lippen. Er war klein und dürr, hatte grünliche Haut, Knopfaugen und Ohren, die aussahen wie Fledermausflügel. Als Kendra für kurze Zeit nur eine gute Handspanne groß gewesen war, hatte er um einiges furchterregender auf sie gewirkt. Doch statt einfach an ihr vorbeizugehen, blieb er erneut stehen, und diesmal schaute er die Stille Kiste an. »Ich wüsste gern, wer vorher dort drin war«, murmelte er, beinahe als spreche er mit sich selbst. »Jahrzehntelang habe ich mir diese Frage jeden Tag gestellt … und jetzt werde ich
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