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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand
Autoren: Agatha Christie
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nicht besonders gut. Keine Frage konnten sie ordentlich beantworten.»
    «Das können die wenigsten Lehrer», sagte ich.
    «Wieso eigentlich? Dafür werden sie doch bezahlt.»
    Ich musste ihr Recht geben.
    «Gut, ich bin natürlich auch ziemlich dumm», sagte Megan. «Aber so vieles kommt mir einfach hirnrissig vor. Geschichte zum Beispiel. In jedem Buch steht was anderes!»
    «Das macht es doch gerade interessant», sagte ich.
    «Und Grammatik», fuhr Megan fort. «Und dann diese blöden Besinnungsaufsätze. Und der ganze Quatsch, den Shelley geschrieben hat, mit seinen Feldlerchen, oder Wordsworth, der völlig aus dem Häuschen gerät wegen ein paar albernen Narzissen. Und Shakespeare erst.»
    «Was macht denn Shakespeare Hirnrissiges?», fragte ich interessiert.
    «Verrenkt und verdreht sich, nur damit auch ja keiner versteht, was er eigentlich will. Na ja – ein paar Sachen von Shakespeare sind ganz in Ordnung.»
    «Da wird er aber erleichtert sein», sagte ich.
    Für Sarkasmus hatte Megan kein Ohr. Ihre Miene hellte sich auf, als sie sagte: «Regan und Goneril mag ich.»
    «Warum gerade die?»
    «Ach, ich weiß nicht. Sie haben irgendwie so was Einleuchtendes. Warum, glauben Sie, waren sie so?»
    «Wie, so?»
    «Wie sie eben waren. Ich meine, es muss doch einen Grund haben, dass sie so geworden sind.»
    Eine Frage, die sich mir zum ersten Mal stellte. Ich hatte Lears ältere Töchter immer als zwei Ekelpakete gesehen und es dabei bewenden lassen. Aber Megans Forderung nach einer Ursache ließ sich nicht von der Hand weisen.
    «Ich denk drüber nach», versprach ich.
    «Ach, nicht so wichtig. Ich dachte nur. Aber es ist ja schließlich bloß Literatur.»
    «Auch wieder wahr. Gab es denn kein Fach, das dir Spaß gemacht hat?»
    «Nur Mathe.»
    «Mathe?», wiederholte ich überrascht.
    Megans Gesicht leuchtete.
    «Mathe fand ich herrlich. Aber wir hatten keinen guten Unterricht. Richtig guter Mathematikunterricht, das stelle ich mir himmlisch vor. Ich finde sowieso, dass Zahlen etwas Himmlisches haben, Sie nicht?»
    «Es ist mir noch nicht aufgefallen», bekannte ich.
    Wir hatten die High Street erreicht.
    Megan sagte scharf: «Da kommt Miss Griffith, diese grässliche Kuh.»
    «Du magst sie nicht?»
    «Ich hasse sie. Ständig will sie, dass ich in ihre blödsinnige Pfadfindergruppe komme. Ich kann Pfadfinder nicht ausstehen. Warum soll ich mir eine Uniform anziehen und im Rudel rumlaufen und mich mit Abzeichen behängen für irgendwelches Gemurkse? Das ist doch hirnrissig.»
    Im Großen und Ganzen war ich durchaus Megans Meinung. Aber Miss Griffith stieß auf uns herab, ehe ich meine Zustimmung äußern konnte.
    Die Schwester des Arztes, die auf den einzigartig unpassenden Namen Aimée hörte, besaß all das Selbstvertrauen, das ihrem Bruder abging. Sie sah auf markige, maskuline Weise gut aus, und ihre Stimme war tief und jovial.
    «Na, ihr zwei», dröhnte sie. «Herrlicher Morgen, was? Megan, wie gut, dass ich dich treffe. Ich brauche jemanden, der mir hilft, Briefumschläge für die Konservative Partei zu adressieren.»
    Megan murmelte etwas Ausweichendes, lehnte ihr Fahrrad gegen den Bordstein und flüchtete mit geschäftiger Miene in den Lebensmittelladen.
    «Merkwürdiges Kind.» Miss Griffith blickte ihr nach. «Faul bis dort hinaus. Sitzt den ganzen Tag nur da und guckt in den Mond. Muss eine schwere Prüfung sein für die arme Mutter. Ich weiß, dass Mrs Symmington mehr als einmal versucht hat, sie für etwas zu interessieren – Stenographie, wissen Sie, oder Kochen oder Kaninchenzüchten. Sie braucht ein Ziel im Leben.»
    Damit hatte sie wahrscheinlich sogar Recht, doch ich dachte bei mir, dass ich mich an Megans Stelle gegen jeden Vorschlag gesperrt hätte, der von Aimée Griffith kam – ihre aggressive Persönlichkeit hatte etwas zu Aufreizendes.
    «Ich halte nichts von Müßiggang», bemerkte Miss Griffith. «Schon gar nicht bei jungen Leuten. Und es ist ja nicht so, als wäre Megan hübsch oder attraktiv oder etwas in der Art. Manchmal denke ich, das Mädchen tickt nicht ganz richtig. Eine große Enttäuschung für ihre Mutter. Der Vater, müssen Sie wissen», sie senkte die Stimme leicht, «hat auch nichts getaugt. Sieht so aus, als würde die Kleine nach ihm geraten. Schmerzhaft für die Mutter. Nun ja, wie ich immer sage, die Menschen sind nun mal verschieden.»
    «Zum Glück», entgegnete ich.
    Aimée Griffith stieß ein «munteres» Lachen aus.
    «Stimmt, wo kämen wir hin, wenn wir alle
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