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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand
Autoren: Agatha Christie
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nach demselben Muster gestrickt wären? Aber es tut mir einfach weh, mit ansehen zu müssen, wie jemand nichts aus seinem Leben macht. Ich genieße mein Leben, und das wünsche ich allen anderen auch. Die Leute sagen zu mir, du musst dich ja zu Tode langweilen, das ganze Jahr auf dem Land. Nicht die Spur, sage ich ihnen. Ich bin immer beschäftigt, immer vergnügt! Es will immer etwas getan werden auf dem Land. Ich bin vollkommen ausgelastet mit meinen Pfadfindern und dem Frauenverein und allen möglichen Komitees – ganz zu schweigen von Owen, der ja auch noch versorgt sein will.»
    In diesem Moment erspähte Miss Griffith auf der anderen Straßenseite eine Bekannte und eilte mit einem lauten Begrüßungsruf zu ihr hinüber, sodass ich meinen Weg zur Bank fortsetzen konnte.
    Ich fand Miss Griffith immer etwas anstrengend, auch wenn ich sie für ihre Energie und Vitalität bewundern musste und die strahlende Zufriedenheit, die sie unweigerlich an den Tag legte, einen erfreulichen Gegensatz zu dem gedämpften Klagegemurmel so vieler anderer Frauen darstellte.
    Nachdem die Bankgeschäfte zu einem guten Ende gebracht waren, ging ich weiter zur Kanzlei der Herren Galbraith, Galbraith und Symmington. Ob die Galbraiths überhaupt noch unter den Lebenden weilten, weiß ich nicht. Zu sehen bekam ich jedenfalls keine. Ich wurde in Richard Symmingtons Büro geführt, in dem es so angenehm muffig roch, wie sich das für eine traditionsreiche Anwaltskanzlei gehört.
    Eine Unzahl von Dokumentenkästen mit Aufschriften wie «Lady Hope», «Sir Everard Carr» und «William Yatesby-Hoares, Esq. Nachlass» sorgte für die angemessene Atmosphäre – wohlanständiger Landadel und lange bestehende, hochseriöse Mandate.
    Ich betrachtete Mr Symmington, wie er sich über die von mir vorgelegten Papiere beugte. Wenn Mrs Symmingtons erste Ehe katastrophal geendet hatte, dann war sie bei der zweiten eindeutig auf Nummer sicher gegangen. Richard Symmington war der Inbegriff der Gediegenheit, ein Mann, der seiner Frau niemals auch nur den kleinsten Anlass zur Besorgnis geben würde. Langer Hals mit ausgeprägtem Adamsapfel, abgezehrtes Gesicht, lange, schmale Nase. Ein freundlicher Mensch zweifellos, ein guter Ehemann und Vater, aber nicht gerade dazu angetan, den Puls ins Rasen zu bringen.
    Nach kurzer Zeit gab Mr Symmington seinen Kommentar ab. Er sprach klar und langsam und bewies dabei viel Umsicht und Scharfsinn. Mein Anliegen war bald einer Lösung zugeführt, und als ich mich zum Gehen anschickte, sagte ich:
    «Ich habe vorhin Ihre Stieftochter getroffen.»
    Einen Augenblick lang machte Mr Symmington ein Gesicht, als wüsste er nicht, wer seine Stieftochter sei, dann lächelte er.
    «Ach ja, natürlich, Megan. Sie – äh – ist schon eine ganze Weile mit der Schule fertig. Wir wollen schauen, ob wir nicht etwas für sie zu – äh, zu tun finden. Aber sie ist natürlich noch sehr jung. Und unreif für ihr Alter, habe ich mir sagen lassen. Ja, das habe ich mir sagen lassen.»
    Ich ging. Im Vorzimmer waren ein uralter Mann, der auf einem Hocker saß und langsam und mühselig etwas schrieb, ein kleiner, ziemlich frech aussehender Junge und eine Frau mittleren Alters mit Löckchen und Kneifer, die in flottem Tempo die Tasten ihrer Schreibmaschine bearbeitete.
    Wenn das Miss Ginch war, konnte ich Owen Griffith nur beipflichten: Amouröse Bande zwischen ihr und ihrem Arbeitgeber waren äußerst unwahrscheinlich.
    Ich ging weiter zum Bäcker und trug meine Beschwerde vor. Sie wurde mit gebührenden Ausrufen der Bestürzung aufgenommen, und als Abbitte wurde mir ein neuer Rosinenwecken in den Arm gedrückt, «ganz frisch aus dem Ofen» – was seine unschickliche Hitze an meiner Brust lebhaft bezeugte.
    Ich trat aus dem Laden und hielt hoffnungsvoll Ausschau nach Joanna und dem Wagen. Der Gang hatte mich reichlich müde gemacht, und mit den Stöcken und dem Rosinenwecken lief es sich nicht gut.
    Aber noch war von Joanna nichts zu sehen.
    Plötzlich weiteten sich meine Augen in ungläubiger, verzückter Überraschung.
    Den Gehsteig entlang kam eine Göttin auf mich zugeschwebt. Es gab beim besten Willen kein anderes Wort dafür.
    Die vollendeten Züge, das goldene Lockenhaar, der hoch gewachsene, köstlich geformte Leib! Und auch ihr Gang war der einer Göttin, schwerelos schien sie dahinzugleiten, näher und immer näher. Ein herrliches, ein unglaubliches, ein atemberaubendes Weib!
    Irgendetwas musste ich über Bord werfen in meiner
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